Okay, dann starte ich mein allererstes Posting in diesem Forum mit einem Erlebnisbericht/einer Konzertkritik zum famosen Auftritt der Rolling Stones in der Walbühne, mein 13. Gig der greatest Rock'n'Roll Band in the world, by the way. (ich habe diesen Konzertbericht auch im Forum des Rolling Stone Magazins gepostet, dachte aber, dass sich hier eventuell auch der ein oder andere dafür interessieren könnte).
Here you are:
10.06.2014, Berlin, Waldbühne
Sechs weniger als angekündigt, also 30 Grad im Schatten. Und schon Stunden vorher dagewesen, Atmosphäre genießen.
Irgendwann wurden die Pforten dann aber tatsächlich geöffnet, es wurde recht genau, aber nicht kleinlich kontrolliert, das Security Personal war sehr freundlich. Normalerweise ist das nicht der Rede wert, aber nachdem mir (und offensichtlich zu nicht wenigen anderen Besuchern) beim Hamburger Gig 2007 von zwei Ordnern Prügel angedroht wurden, trotzdem eine angenehme Erkenntnis.
Also, rauf aufs Gelände und durch das Wäldchen hindurch: was für ein Anblick! Die gesamte Arena im strahlenden Sonnenschein, der Innenraum klitzeklein und tatsächlich wurde der Band eine Art Steg oder Catwalk mit zusätzlicher kleiner Bühne spendiert. Von überall im Innenraum würde man eine großartige Sicht haben werden und wir hatten das Glück, vor vierzehn Tagen an die begehrtesten aller Tickets gekommen zu sein. Dieses Gefühl, die Treppen hinunter zur Bühne zu gehen und in jenem Moment schon zu wissen, das man alles aus nächster Näher mitbekommen würde, ist schwer in Worte zu fassen und lässt sich wohl nur mit dem Gefühl vergleichen, welches man als Kind kurz vor der weihnachtlichen Bescherung hatte. Unten angekommen, war meine Freude über die guten Plätze so groß, dass ich erstmal ein paar mal wie Mick Jagger in „Rocks Off“ hin- und herlaufen musste, um überschüssige Energie loszuwerden.
Mein Kumpel und ich hatten bereits am Tag zuvor nach langem und ausgiebigem Abwägen entschieden, dass wir dieses mal bei Keith stehen wollten. Nach allem was man so las und hörte, sollte er wieder in Top-Form sein. Außerdem hatte er nicht mehr dieses unsägliche Bärtchen wie vor sieben Jahren.
Trinken? Nein, auf keinen Fall etwas trinken, das viele Wasser, das ich bereits getrunken hatte, musste auf jeden Fall bis nach dem Konzert reichen. Ich wollte nichts verpassen. Irgendwann sahen wir Steven Tyler und Joe Perry, als sie sich hinsetzten und waren froh, dass damit besiegelt war, dass man die beiden nicht auf der Bühne würde sehen müssen. Charlies bildhübsche Enkelin schritt auch durch den Innenraum, sprach ein paar Leute an, unterhielt sich und machte ein paar Bilder.
Okay, die Vorband hätte man verpassen können. The Temperance Movement, der Sänger ganz gut, aber vollkommen übermotiviert, der Rest: naja. Bluesrock ungroovy, eigentlich ein Paradoxon. Aber nach nicht mal einer halben Stunde war’s dann vorbei.
Und dann: the greatest Rock’n’Roll Band in the world: THE ROLLING STONES!
START ME UP: Keith steht in der Mitte, spielt das Riff in der Hyde Park ´13 Variante: herb, metallisch, knochentrocken und leicht verschoben, dreht ab und kollidiert beinahe mit Mick, der gerade direkt an ihm vorbei ein paar Schritte gen Steg macht. Gerade nochmal gutgegangen. Mick ist von Beginn an on fire: er stolziert mit einer Hingabe über die Bühne und singt mit soviel Kraft, als habe er heute nur diesen einen Song Zeit. Top.
Weiter geht’s mit YOU GOT ME ROCKIN’: ein crowd pleaser, die Studioaufnahme für Stones Verhältnisse eher mäßig, live aber immer ein Bringer. „Hey! Hey!“, natürlich singt die ganze Waldbühne mit. Ronnie mit sehr schönen Akzenten auf der Dobro.
Danach begrüßt Mick das Publikum auf Deutsch, doch bevor er ins Plaudern kommt, fängt Keith lieber gleich mit der nächsten Nummer an: IT’S ONLY ROCK’N’ROLL. Der total überraschte Mick Jagger rollt mit den Augen, muss dann aber doch grinsen und steigt ein. Okay, „It’s Only Rock’n’Roll“ wird wirklich immer gespielt und ist wahrlich keine Überraschung. Aber: im Vergleich zur letzten Tour wurde auf Blondie Chaplin verzichtet, der bei quasi allen Songs akustische Gitarre spielte, außerdem ist der Sound bei der aktuellen Tour ein anderer: der Fokus liegt auf den beiden Gitarren - Keyboards, Bläser und Perkussion sind leiser als früher und machen das, was sie sollen: sie spielen eine Nebenrolle. Dadurch ist mehr Luft um die einzelnen Instrumente und der Konzertsound hängt mehr als bei der Bigger Bang Tour an Keith und Ronnie. Das macht aus den Songs eine ätzende Säure, die alles durchdringt. Groß. Bitte niemals aus der Setlist werfen.
TUMBLIN’ DICE: schneller, nicht die ganze Zeit am Riff festhängend, Keith variiert viel.
Dann eine große Überraschung: WAITING ON A FRIEND. Mick spielt akustische Gitarre, singt großartig. Die Crowd ist hingerissen, ich natürlich auch, denn eines ist klar: natürlich meint er mich.
DOOM & GLOOM: die letzte Single, die Band on fire, laut und gut.
Mick wendet sich wieder an das Publikum, spricht wieder Deutsch, fabuliert von einem Finale Deutschland gegen England und hofft, dass es bei dieser Konstellation nicht zum Elfmeterschießen kommt. Dann kündigt er den Sieger des Fan Vote Songs an, „Wind Of Change“ von den Scorpions, was dort, wo ich stehe, spontan mit Gelächter quittiert wird. Mick erzählt, die Band habe das Stück geprobt, „but it didn’t work out“. Offensichtlich ist Herrn Jagger nicht klar, dass die fälligen Ausschreitungen alles von 1965 in den Schatten gestellt hätten, wenn die Band diesen Schundtitel tatsächlich gespielt hätte. Okay, tatsächlich war GET OFF OF MY CLOUD der Siegersong: zornige Version, Keith und Ronnie spielen sich die Bälle zu, Mick ächzt wütend ins Mikro.
OUT OF CONTROL. Ein in der Darbietung unerwartetes Highlight.
Gleich danach HONKY TONK WOMEN, es ist ein kleines bisschen schade, dass die Band sich nicht, wie so oft zuvor, zu Beginn des Songs einige Zeit am Anfangsgroove abarbeitet, bevor es richtig losgeht, aber gut, so sei es. Mick huscht über die Bühne, ist wie die ganze Zeit schon bestens aufgelegt und ja, ich wiederhole mich: er singt einfach fantastisch. Mick scheint sehr viel für seine Stimme getan zu haben, vielleicht hat er auch nochmal speziellen Gesangsunterricht genommen. Neigte er bei der Bigger Bang Tour noch dazu, die Töne kurz zu halten und mehr den Shouter zu geben, singt er die Töne, Worte und Zeilen nun wieder viel mehr aus. Das bringt wieder deutlich mehr Charakter, mehr Blues, mehr Country, mehr Soul in die Songs.
Mick Jagger stellt die Band vor. Jeder in der Waldbühne kennt die Reihenfolge der Vorstellung, es wird bei den mehr oder weniger neuen Tourbandmitgliedern angefangen, danach kommen dann die Leute dran, die schon lange mit den Stones auf Tour sind, Chuck Leavell und Bobby Keys. Das war schon immer so, wird immer so bleiben und ist bei jedem Konzert gleich. Mittlerweile spreche ich da aus Gewohnheit auch schon mit. Dann kommt es aber doch zu einer wirklich großen Überraschung: während ich Ronnie ankündige, bittet Mick Charlie nach vorn. WIE BITTE?!? Verständlicherweise lässt sich Charlie nicht auf diese Mätzchen ein und bleibt hinten auf der Bühne stehen. Ronnie kommt schon nach vorn, obwohl er noch gar nicht angekündigt wurde, leichte Konfusion entsteht. Ronnie winkt Charlie nach vorn, Charlie bleibt aber weiterhin hinten bei Keith (und der lacht auch noch!) stehen. Richtig so! Mick begreift, dass er mit der Nummer nicht durchkommt und stellt Ronnie vor, danach endlich doch Charlie, welcher dann grinsend und mit einem „Entschuldigung angenommen!“-Blick augenzwinkernd zu Mick nach vorn schlendert. Als letztes Keith, großes Hurra, „It’s great to be here, it’s great to be anywhere“, Spaß beiseite, jetzt kommt der echte Blues:
YOU GOT THE SILVER: an diesem Song scheint Keith wirklich zu hängen, dieser Song scheint ihm wirklich wichtig zu sein: Keith singt so klar wie er nur kann, bleibt ganz dicht an der Originalmelodie. Jeder in der Arena soll jedes Wort wirklich verstehen, so scheint es. Ich merke, dass ich älter werde: ich bin gerührt, wirklich.
CAN’T BE SEEN ist dann der zweite von Keith gesungene Song an diesem Abend, einer meiner Favoriten, Keith ist die Gitarre sehr wichtig und er singt, weil’s kein anderer macht, mehrfach kommt er nicht rechtzeitig zum Mikro und mit dem Text kommt er auch ein wenig durcheinander. Keine Enttäuschung, aber ich weiß, dass er das besser singen kann.