2022 - München, Olympiastadion, 05.06.2022

  • The Rolling Stones - München, Olympiastadion, 05.06.2022


    Sie haben es also tatsächlich wieder getan. Nach der großartigen, im letzten Jahr in Nordamerika beendeten „No Filter Tour“ ist die Greatest Rock’n’Roll Band In The World schon wieder unterwegs. „Rolling Stones Sixty“ feiert das sechzigjährige Bühnenjubiläum der Band und gestern war der mit Hochspannung erwartete zweite Gig im Münchener Olympiastadion. Der 116. in Deutschland insgesamt, wie Mick uns wissen ließ.


    Eine neue Tour der Stones bedeutet eine neue Bühne, Modifikationen in der Setlist und immer wieder auch leichte Veränderungen beim Bandsound. Die Bühne wirkt etwas kleiner und weniger gigantisch als zuvor, die Videowände sind nicht mehr ganz so riesig, dafür ist es wieder bunter geworden. Auf das Feuerwerk am Ende des Konzerts wird neuerdings verzichtet.


    Nachdem es am späten Nachmittag übel gewitterte, hörte der Regen rechtzeitig zur – grottenschlechten – Vorband auf und die Sonne kam sogar noch durch. Das Stadion war richtig voll, wenn wohl auch nicht ganz ausverkauft. Ich war ziemlich aufgeregt. Immerhin ging es um eine neue Tour und ich war höchst gespannt, wie die Band denn wohl mit Steve Jordan an den Drums klingen würde (die bereits reichlich kursierenden Youtube-Videos vom Auftakt in Madrid gaben nur eine leichte Idee davon).


    Toll ist ja immer das bunte Treiben der ganzen Leute auf Stones-Konzerten: Normalos, Event-„Fans“, Keith und Mick Wannabe-Lookalikes und Hardcore-Ultras, die sich im Detail über den Tourstart in Madrid oder die besten Single-B-Seiten der Achtziger unterhalten. Tendenziell gehöre ich nach all den Jahren (gestern war mein Stones Konzert Nummer 18) wohl eher zu den letzteren. Nachdem ich mein obligatorisches Tour-Shirt am Merch-Stand erworben hatte (das hellblau gebatikte „Sixty“-Shirt) nahm ich dann meinen Platz im Silver-Pit ein, nicht zu weit vorne, ich wollte noch ein bisschen Bewegungsfreiheit haben.


    Und dann ging es auch schon los. Charlie auf den Screens. Bilder aus den frühen und späten Jahren, kurze Videos, die Charlie beim Kumpeln mit seinen Bandmates zeigen. Charlie lächelnd. Charlie, wie er sich ein bisschen Verlegen bei einem seiner letzten Konzerte für den leidenschaftlichen Applaus der Fans bedankt. Ich habe eine Schwäche für solche Dinge und war wirklich ergriffen und den Tränen nahe. Großer Applaus beim Publikum. Dann: „Street Fighting Man“. Schon auf den meisten Konzerten der letzten Tour der Opener, hört man gleich leichte Veränderungen in der Abmischung: die Gitarren nicht mehr ganz so brachial, laut und dominierend, Micks Stimme etwas lauter und ein Drummer, der der Bassdrum ordentlich in den Hintern tritt. Die Crowd ist sofort schwer begeistert. Ich auch.


    Danach „19th Nervous Breakdown“. Toll! Die Band spielt mit viel Geschwindigkeit und rumpelt sich vorzüglich durch den Song. Da wo ich stehe, singen alle mit und da wo ich stehe, ziehe ich den Altersschnitt nicht runter (wie sonst sehr häufig). Links hinter mir ist eine circa ein Dutzend Leute starke Gang von sehr textsicheren Twentysomethings, die den halben Block auf Trab gehalten haben. Tip Top, das hat auch die kritischen Skeptiker sehr schell zum mitwippen und mitsingen gebracht. Danke Leute, ohne euch hätte es wohl ein paar Songs länger gebraucht, bis die Herrschaften im mittleren Teil des Silver Pits in die Gänge gekommen wären.


    Und dann: „Rocks Off“! Einer der großartigsten Album-Opener nicht nur der Stones, sondern überhaupt. Damit hatte ich ja überhaupt nicht gerechnet! Gut, informierte Leute wussten natürlich, dass die Stones „Rocks Off“ auch bei den Tour-Rehearsals gespielt haben und ich glaube, gestern nachmittag wurde der Song beim Soundcheck auch angestimmt. Trotzdem eine Überraschung und Ronnie und Keith rumpelten sich mit Leib und Seele durch die Nummer. Steve Jordan schien den Song schneller spielen zu wollen als die Gitarristen und es sollte ungefähr die Hälfte des Songs dauern, bis sich alles zusammenfand. Ich fand das sensationell toll.


    Ein paar Worte zu Steve Jordan:

    Er hat seine Sache gut gemacht. Gleichwohl klingt er anders als Charlie. Charlie hing immer ganz leicht hinter dem Beat, arbeitete viel mit Auslassungen und Wirbeln, die sich an den großen Jazzern der Vierziger und Fünfziger orientierten. Und: Er spielte viel Snare und wenig Bassdrum. Er hatte den Swing. Steve Jordan hingegen spielt viel treibender. Funky. Das hat aus meiner Sicht bei „Miss You“ und „Sympathy For the Devil“ ganz hervorragend geklappt, bei „Honky Tonk Women“ und „Street Fighting Man“ aber nicht so gut. Auf jeden Fall klingt es anders. Charlie fehlt. Er wird nicht zu ersetzen sein. Dafür war sein Spiel viel zu unique. Außerdem brauchte Charlie immer nur einen kurzen Moment, wenn sich Gitarren und Drums zu Beginn eines Songs nicht ganz einig waren und hielt Band und Song immer am Laufen. Steve Jordan braucht da mehr Zeit und ob er den Laden jemals zusammenhalten wird, muss man sehen.


    „Tumblin’ Dice“, ein Crowd-Pleaser. Gut. Dann kündigt Mick einen Song an, den die Band erst einmal life gespielt hat und zwar beim letzten Konzert vor ein paar Tagen in Madrid. Keine Single für die Stones, aber eines der ganz großen Highlights auf dem 66’er Album „Aftermath“: „Out Of Time“. Ich war mit Sicherheit nicht der einzige, der irgendwas zwischen ergriffen und total umgehauen war. Die Stones spielen „Out Of Time“. Wow! Einer der ganz vielen Träume, die ich als Stones-Fan so habe, wurde wahr. Und da war ich wohl nicht der einzige: Das Publikum sang Mick treu ergeben mit und feierte die Nummer so sehr, dass die Band sogar noch für ein Reprise anstimmte. Top notch. Sensationell, ein absolutes Highlight des Abends.


    Den Song-Vote gewann – wenig überraschend – „Ruby Tuesday“. Ich hätte mich über einen anderen Gewinner mehr gefreut, aber die Band spielte den Song wirklich mit ganzer Hingabe. Sehr schön, wie Keith es sich nicht nehmen ließ, konzentriert und auf den Punkt Backup zu singen.


    „You Can’t Always Get What you Want“ brachte die Stimmung auf die nächste Stufe, auch wenn ich finde, dass dies einer der Songs ist, bei denen das Zusammenspiel der Band mit Steve Jordan – noch – nicht so gut funktionierte. Dann „Ghost Town“, die Nummer-1-Single aus dem vorletzten Jahr. Nicht ganz so zwingend wie auf der 10“, aber trotzdem sehr gut, Mick sehr cool an der Harp. Als nächstes „Honky Tonk Women“, natürlich auch toll. Band Introduction und dann zweimal Keith: „Connection“ und „Slipping Away“. Bei ersterem kämpft sich Keith lächelnd durch den Text, die Einsätze stolpern. Top. Bei „Slipping Away“ ist Keith dann voll bei der Sache, er singt und spielt auf den Punkt. Ergreifend. Für mich eine der besten Keith Performances der letzten Jahre. Vielleicht sogar die beste. Überhaupt Keith: Bei jedem Song ist er bereit, voll ins Risiko zu gehen, variiert, improvisiert und holzt ab und zu auch mal etwas daneben. Aber genau das macht es ja aus, die Band rollt und rumpelt, kämpft und: Gewinnt. Ein ums andere mal.


    Danach dann der zweite Teil des Konzerts mit den bekannten Songs. „Miss You“ sehr groovy und funky. Toll, wenn auch nicht so gut wie 2017 in Düsseldorf oder im Jahr darauf in Berlin. Mick singt nicht mehr alle Zeilen voll aus und die „Ooooohs“ und „Whooohoos“ etwas kürzer als sonst. Keith kommt nach kurzer Pause erst nach ungefähr der Hälfte des Songs auf die Bühne, das Publikum singt gerne, aber nicht gut mit. Der „Midnight Rambler“ scheint etwas kürzer als bei der letzten Tour, „Start Me Up“ smoother mit einem glänzend aufspielenden Ron Wood. „Paint It Black“, eine Perle, wie immer. Sie haben den Song aber schon düsterer gespielt. „Sympathy For The Devil“ bei weitem nicht so brachial wie auf der letzten Europa-Tour. „Jumpin’ Jack Flash“ war dafür ein Highlight, Keith schwer on fire, als Zugaben dann noch „Gimme Shelter“ und „Satisfaction“.


    Was für eine Band. Wahnsinn. Mehr davon. 8)

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22.06.1995: Hannover
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  • Uhhh ..... WoW :!:


    Man sieht an Deinem "Wording", dass Du mehr als nur

    einmal im Jahr ein gutes Buch in Händen hältst - sensationeller Bericht :):thumbup:


    DAS ist ja fast ein Zeitungsreifer Text !


    Nankering, Alder ..... bekommst Konkurrenz ^^:nanker

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    » Alle Tage sind zwar gleich lang, aber unterschiedlich breit . «
    ( Wolfgang Neuss )

  • Klasse geschrieben Stu!! Zu neunzig Prozent auch meine Gedanken. :)

    Na, dann waren wir ja offenbar beim selben Konzert! ;)

    Deine zehn Prozent würden mich interessieren!

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  • Tolle Review Stu :tumbup

    Bei mir eher 86,5 % Zustimmung :nanker

    (speziell das "grottenschlechte Vorband" haben wir komplett anders empfunden, für mich rockte das gar nicht mal schlecht und alle um mich herum meinten auch "wir haben schon vieeeeel schlechtere erlebt") Ronnie's Sohn machte den Gitarrenpart auch ga nicht so schlecht.:thumbup:


    Ich schreib demnächst sicher auch noch ne Review mit meinen Eindrücken zum Gig, bin aber noch ne Weile unterwegs.

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    Einmal editiert, zuletzt von Nankering ()

  • Tja, das mit den "Vorbands" ist immer so 'ne Sache .....


    Prinzipiell "müssen" die ja von Haus' aus schlechter als

    der Haupt-Act sein ;)

    Deshalb kriegen die auch nie die volle PA-Leistung, Video-Screens,

    Light-Show des Haupt-Acts !


    Ich meine ..... stellt Euch mal vor (nuuur so.....) die Stones

    würden "aus Versehen" mal so jemand wie Seasick Steve

    im Vorprogramm laufen lassen ..... was wär dann ? ^^

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    ( Wolfgang Neuss )

  • Logisch MO aber das ist ja immer so mit "nie die volle Leistung" für Support Acts ect.

    Ich meinte schon die musikalische Qualität zw. den unterschiedlichen Vorbands .... ich glaube die übelste die ich je hatte waren "De Staat" Amsterdam 2017

    Qualitativ fand ich da "Reef" um Längen besser :thumbup:

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  • Naja, Bap in Köln 1982 hat Jagger schon ziemlich verschreckt. Die Stimmung war schon vor den Stones auf dem Siedepunkt!

  • Nach der Rückkehr auch noch ein paar Eindrücke von mir:


    Die Review von Stu entspricht weitestgehend auch meinen Erfahrungen. Für mich herausragend "Out of Time", aber auch "Ruby Tuesday" (lange nicht mehr live gehört). Hut ab, ein solches Konzert über 2 Stunden mit so viel Tempo abzuliefern, das sieht man nicht mehr allzu oft. Bin seit 1970 live dabei und dieses gehört zu meinen Highlights; auch wegen der Atmosphäre im Olympiastadion.


    Für mich (uns) waren Licht und Schatten an diesem Pfingstwochenende nah beieinander:

    Kurz entschlossen sind meine Frau und ich mit dem Auto nach München gefahren (ca. 400 km von Darmstadt). Hotel nahe Olympiapark war gut (nur ca. 30 Min. Fussweg). Koffer am Samstagmittag erstmal abgegeben, da das Zimmer noch nicht fertig war. Dann in den Englischen Garten eine Mass trinken. Mick dort leider nicht begegnet, obwohl wir fast zeitgleich da waren, wie wir später erfuhren. Nach der Rückkehr im Hotel ein Tiefschlag: Der Koffer meiner Frau war weg. Er wurde vom Personal vertauscht und einem abreisenden Gast mitgegeben. Jetzt standen wir da. Meine Frau konnte sich nicht mehr umziehen; alles Wichtige war im Koffer. Einkaufen ging auch nicht mehr, da zu spät. Um 1 Uhr nachts klopfte es dann an die Tür und der Koffer wurde vorbeigebracht. Offenbar hat der Gast den Irrtum bemerkt. Wie und woher der Koffer zum Hotel kam, bleibt ein Rätsel.


    Zum Glück traf die Wettervorhersage nicht ein. Wir waren schon auf Unwetter vorbereitet. Trotz der Verschiebungen sind wir um 16.30 Uhr zum Lucky Dip-Schalter. Zum Glück standen wir überdacht und blieben einigermaßen trocken. Sehr ärgerlich war das lange Anstehen von fast 3 Stunden, obwohl wir ziemlich vorne in der Schlange waren. Der Mann am Counter war hoffnungslos überfordert. Mit den Tickets waren wir sehr zufrieden; hatten Sitzplatz Tribüne Ost, was nach dem langen Stehen sehr angenehm war und einen fantastischen Sonnenuntergang.


    Am nächsten Morgen haben wir uns am Marienplatz noch ein schönes Frühstück gegönnt und die vielen Zungenshirts bewundert, die noch unterwegs waren. Gegen 17 Uhr waren wir wieder zu Hause. Gekauft habe ich mir nichts, dafür aber das schwarzblaue T-Shirt von München bestellt (ist mittlerweile ausverkauft).


    Alles in allem war es für uns ein erlebnisreiches Wochenende und wir freuen uns schon auf den nächsten Trip nach Paris.


  • Das mir dem Koffer ist natürlich ein WorstCase....

    Schade das es diesmal nicht mit einem Treffen geklappt hat Hadomann (erinnere mich immer gern an unsere Treffen, aber durch das Wetter war vieles einfach nicht machbar am Sonntag.

    Danke natürlich auch für dein Bändelbild :thumbup:

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