U2 Berlin

  • Berliner Zeitung von heute


    U2
    Oldies but Goldies
    Jens Balzer


    Am Donnerstag haben U2, die Kaiser Chiefs und Snow Patrol im Olympiastadion ein Konzert gegeben. Zuerst traten die Kaiser Chiefs auf, ein Quintett aus Leeds, das seinen Namen einem südafrikanischen Fußballverein entliehen hat und einen an der British Invasion orientierten, also recht Rhythm'n'Blues-haltigen Britpop darbietet; ansonsten zeichnet die Band sich unter anderem dadurch aus, dass ihr Organist beim Orgeln den Hut aufbehält (Berliner Zeitung vom 2. 5. 2005). Danach folgten Snow Patrol, eine in Deutschland noch kaum bekannte Glasgower Band aus dem Umfeld von Belle & Sebastian, die in ihrem Heimatland im Gefolge von Coldplay zu einigem Ruhm gelangt ist und ähnlich wie diese, obzwar insgesamt ein wenig langweilig, mit "Run" immerhin eine gute Ballade im Programm besitzt. Diese hatten sie schon beim Londoner Live-8-Konzert zum Besten gegeben, am Donnerstag wurde sie passenderweise den Opfern der Londoner Anschläge gewidmet.


    Wegen des Regens mussten die Vorgruppen unter einem Zeltdach spielen, was ein wenig so aussah, als habe sich eine Gartengesellschaft auf die Bühne verirrt und jetzt auch noch ungebeten angefangen zu musizieren. U2 hingegen ließen ihr Schlagzeug und ihre Anlage durch einen Hartplastikschirm schützen, der durch eine Strebe von hinten gehalten wurde und dadurch aussah wie ein durchsichtiger Fliegenpilz oder eine Qualle im Sprung. Auch der charakteristische ins Publikum ragende zweisträngige Laufsteg war mit dabei. Vor vier Jahren in der Waldbühne hatten U2 ihn ja in die Form eines Herzens gebracht. Diesmal handelte es sich um zwei leicht gestreckte Halbkreise, die in zwei dicke Rundformen mündeten; insofern erinnerte das Ensemble ein wenig an die schematische Darstellung einer Gebärmutter in einem Biologiebuch.


    Besonders gefreut haben wir uns dann darüber, dass U2 ihr Konzert mit der Einspielung von "Wake Up" eröffneten, einem Stück der in dieser Redaktion außerordentlich geschätzten kanadischen Band Arcade Fire.Dessen drängender Rhythmus und hymnisch jubilierender Gesang greift alles das wieder auf, was man an der Musik von U2 vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren einmal mochte - womit das Publikum bereits auf den erfreulichen Umstand eingestimmt wurde, dass es, nachdem das Konzert mit "Vertigo" eröffnet wurde - dem Eröffnungsstück des letzten Albums "How To Dismantle An Atomic Bomb" - im Folgenden vor allem Oldies zu hören bekommen sollte:"New Year's Day" und "Sunday Bloody Sunday", "I Will Follow", "With Or Wit hout You" und "I Still Haven't Found What I'm Looking For", wobei die Live-Version letzteren Liedes mit ihrem bassbestimmten Stadionrock-Bumsrhythmus leider meilenweit entfernt war von dem filigranen Gitarrengezirpe, zu dem Produzent Brian Eno seinen Schützlingen weiland auf "The Joshua Tree" verholfen hatte.


    Doch das sind nur Kleinigkeiten in der Kritik, denn im Großen und Ganzen boten U2 ein nicht unangenehmes, kurzweiliges Konzert; das uferlos unstrukturierte Gedengel von ihren letzten beiden LPs hielten sie ebenso im dramaturgischen Zaum wie den aufgeladenen Bombastpop, den man von Neunzigerjahre-Alben wie "Zooropa" kennt. Nach einer Zwischenphase der Selbstbesinnung aufs Elementare ("wir wollen wieder richtigen Punkrock spielen", hieß es anlässlich des vorletzten Albums "All That You Can't Leave Behind") haben sie sich offenbar auf das besonnen, was sie am Besten können: als ihre eigene Cover-Band aufzutreten.


    Auch in Fragen des Politischen fanden sie den richtigen Ton: "Unsere Gedanken sind bei all jenen, die heute in London geliebte Menschen verloren haben", wandte sich Bono an seine Hörer, als die Sonne untergegangen war und das Stadion im Schein der Wunderkerzen und einer Leuchtschlange erglühte, die auf den im Innenraum aufgestellten Dixi-Toiletten angebracht worden war. "Es gibt Menschen, die glauben, dass Ideen wichtiger sind als Menschen. Das ist nicht wahr. Ich habe ein Gebet, und ich hoffe, dass es auch das Eure ist: Ich bete, dass wir nicht zu Monstern werden, wenn wir das Monster bekämpfen." Danach wurde die Charta der Menschenrechte verlesen und die Band spielte "Pride (In The Name Of Love)", was bei allem, was man sich ansonsten über U2, ihre Musik und ihren Sänger so denken mag, das Klügste und Schönste war, was eine Rock'n'Roll-Band an diesem Tag und an diesem Ort tun konnte.

  • Gigantische Laufstege führen von der Hauptbühne ins Publikum. Immer wieder sucht Bono die Nähe seiner Fans, und von weitem sieht es so aus, als könne er aus purer Willenskraf ber den Köpfen der Zuschauer schweben, so wie Jesus einst übers Wasser lief. Ähnlich wie die Stones und Bob Dylan können sich U2 den Luxus erlauben, die Setlists ihrer Konzerte ad hoc zu bestimmen und dabei auf ein unerschöpfliches Repertoire aus einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte zurückzugreifen. Auf ihre Gassenhauer „New Year’s Day“ und „Beautiful Day“ lassen sie ansatzlos „Sgt. Pepper’s“ folgen, eine Referenz an das Londoner Live-8-Konzert, bei dem Bono den Beatles-Klassiker mit Paul McCartney intoniert hatte. Vorher schon zitierte der Sänger „I Can’t Stand the Rain“, eine augenzwinkernde Huldigung an den kühlen Berliner Sommer.


    Beim elften Stück, der schwelgerischen Ballade „Sometimes You Can’t make It On Your Own“, seinem toten Vater gewidmet, nimmt Bono zum ersten Mal die Sonnenbrille ab. Während die Songs anfangs kommentarlos ineinander übergegangen waren, ein Best-of im Schnelldurchlauf, wird der zweite Teil des Abends pädagogisch wertvoller. Zu „Running to Stand Still“ flackert die UN-Menschenrechtserklärung über die Projektionswand, und das Stadion verwandelt sich in ein wogendes Lichtermeer aus Feuerzeugen und den grünlich schimmernden Displays hochgereckter Handys. Pfiffe mischen sich in den Jubel, als Bono in John-F.-Kennedy-Deutsch die Entwicklungshilfepolitik von „Cänzella Schröda“ lobt. Nach zwei Stunden endet der offizielle Teil des Abends mit dem Tränendrücker „One“, den niemand herzergreifender gesungen hat als Johnny Cash. Es folgen fünf Zugaben, auf der Leinwand erscheinen Bruchstücke von Phrasen: „where is the“, „why do you“, „I have no“. Und natürlich ein groß geschriebenes Wort: „LOVE“.

  • Der Tagesspiegel von heute


    Man singt nur mit dem Herzen gut
    Frohe Botschaft: U2 verwandeln ihr Konzert im Berliner Olympiastadion zum Ersatzgottesdienst gegen die Terrorangst


    Von Christian Schröder


    Er singt das Lied seit 22 Jahren, er wird es noch oft singen müssen. „I can’t believe the news today“, fast flüstert Bono die Anfangszeilen. „I can’t close my eyes and make it go away.“ Die news today, das sind natürlich die Nachrichten von den Terroranschlägen in London. Man mag die Augen noch so oft schließen, die Bilder von den Verletzten und Verstörten wird man doch nicht mehr los. „Sunday Bloody Sunday“, 1983 auf dem dritten U2-Album „War“ noch den Opfern des nordirischen Bürgerkriegs gewidmet, wird am Abend dieses Bloody Thursday zur Trauerhymne, zum Gospel gegen die Angst. „God exists!“, ruft Bono in das lärmende Stakkato der Trommeln und Gitarren, „no more terror!“ Den Refrain singen die 60000 Zuhörer im nicht ganz ausverkauften Berliner Olympiastadion mit, es ist der Moment einer kollektiven Entgrenzung: „Tonight we can be as one.“ Wut und Verzweiflung in einen Rausch der Zusammengehörigkeit zu verwandeln, das war schon immer die Stärke der irischen Weltverbesserungsrocker.


    Man hat Paul Hewston, der sich Bono Vox nennt, seitdem er vor 28 Jahren mit drei Schulfreunden in Dublin seine Band U2 gründete, oft vorgeworfen, eher Prediger als Popstar zu sein. Längst aus der Rolle des Nur-Sängers herausgewachsen, ist er inzwischen als eine Art Generalvertreter aller Entrechteten und Beladenen zuverlässig dort zur Stelle, wo die Not am größten ist – im sterbenden Regenwald am Amazonas oder in den Dürregebieten Afrikas. Zum Berliner Konzert kam er vom G-8-Gipfel aus Gleneagles eingeflogen, wo er noch am Vortag mit Bundeskanzler Schröder über die Entschuldung der Dritten Welt konferiert hatte.


    Doch zum hohen Ton der Betroffenheit von „Sunday Bloody Sunday“, dem emotionalen Höhepunkt des Auftritts, passt der sakrale Habitus des Sängers ganz hervorragend. Schnell aber schlägt bei Bono das Pathos um in Peinlichkeit. Beim Nachfolgesong „Bullet the Blue Sky“ zieht er sich ein Stirnband über die Augen, um wie ein blinder Seher über die Bühne zu stolpern. Auf dem Stirnband sind die drei Religionssymbole Halbmond, Judenstern und Kreuz nebeneinander angeordnet. Zur didaktischen Vereinfachung werden die Symbole außerdem auf eine haushohe Leinwand projiziert und vom Sänger ausführlich erläutert. Die Botschaft ist so schlicht wie wahr: Gott gut, Mensch manchmal schlecht.


    Die Tourneen von U2, weltumspannende Mammutunternehmen wie sonst nur bei den Rolling Stones, sind zuverlässige Indikatoren des Zeitgeistes. Bei der „Zoo-TV“-Tour ließen sie 1992 Trabbis durch Stadien fliegen, 1997 hängten sie, passend zu ihrem Album „Pop“, gigantische Discokugeln und Zitronen auf. Das waren verspielte Kommentare zum Hedonismus der Neunzigerjahre. Inzwischen sind die Zeiten wieder härter geworden. Die Ironie – ohnehin keine Stärke von Bono und den Seinen – ist vorbei; mit der „Vertigo“-Tour kehrt die Band zu ihren Wurzeln zurück. Auf ihrem jüngsten Album „How To Dismantle An Atomic Bomb“ – von dem sie in Berlin vier Stücke spielen – haben U2 ihre Musik entschlackt und von allem Sound-Firlefanz befreit. Wie in der Ära von „The Unforgettable Fire“ (1984) und „The Joshua Tree“ (1987) dominieren allein die hallende und heulende Gitarre von Dave „The Edge“ Evans und die wuchtigen Rhythmen von Drummer Laurence Mullen und Bassist Adam Clayton.


    Die Kargheit des Bühnenbilds entspricht dem Purismus dieser Musik, die nichts anderes sein möchte als schlichter Rock’n’Roll. „Vertigo“ ist sozusagen die größte Clubtournee der Welt, ein auf XXL-Format aufgeblasener Eine-Gitarre-ein–Schlagzeug-und- ein-Bass-Anachronismus. Zur Not könnte sich die Band auch mit einer Hinterzimmerbühne begnügen. Als das Konzert mit dem Titelstück „Vertigo“ beginnt, sind Bono, Clayton und The Edge – wie immer mit Strickmütze – zu einer Dreierkette aufgereiht, Mullen hockt hinter ihnen unter einem regensicheren transparenten Plastikzelt an seinen Trommeln. Rot-schwarz gestreifte Türme tragen Leinwände, auf denen die Musiker in monumentaler Nahsicht zu sehen sind, dazwischen spannt sich eine konkave Metallwand, die abwechselnd für Lichteffekte und als Projektionsfläche dient.

  • Lompos Farkas


    Vielen Dank für die Berichte.


    Habe ja meist Mühe mit Bono, wegen diesem Pahtos etc. Aber an diesem Abend hats mich überhaupt nicht gestört, im Gegenteil, das musste sein. Es war genau richtig. Offensichtlich konnten sich die anwesenden Journalisten dem auch nicht entziehen.


    Was das wohl für einen Eindruck hinterlässt, an einem "normalen" Abend. _Hmmm das werde ich Montag in einer Woche erleben.