Zeitungsbericht aus der heimischen NRZ....
Soundtrack deines Lebens
18.06.2008 / Kultur
NRZ
STEPHAN HERMSEN
DÜSSELDORF. 23.30 Uhr, in der S-Bahn klingelt mein Handy. „Sabine hier, wie war Springsteen?
Was hat er gespielt?" Alte Sachen, zu zwei Dritteln. Wie es war? 38 000
Leute, nicht ausverkauft, der leider häufige Soundmatsch großer
Stadien, oft jedenfalls. Anfangs zwei kurze Stromausfälle auf der Bühne
– Springsteen assoziiert Erektionsstörungen. Klar – in dem Alter.
Meist sieht man den 58-Jährigen auf der Videoleinwand. Ansonsten muss
man ihn mit der Handykamera suchen im verzweifelten Versuch, magische
Momente festzuhalten wie bei „The Rising". Da kann sich der
US-Großmeister noch so oft auf Stegen ins beifallrauschende
Menschenmeer begeben – damit macht er Dutzende glücklich: Bruce zum Anfassen. Für den Rest ist's weitgehend ein Videoereignis. Aber ein Ereignis.
Warum? Weil Sabines zweite Frage lautete: „Weißt du noch? Mit einer
Springsteen-Kassette fing alles an." Gestern vor 23 Jahren, „Born in
the USA". Aber warum soll ich die Geschichte erzählen von meinem
missionarischen Eifer bei ihr, dem Wham-Fan? Wo er den Song nicht
gespielt hat?
Seine Geschichten sind auch unsere Geschichten
Weil es nicht nur die Sabine-Geschichte gibt. Sondern die vom 20-Mark-Schein und der Lebensentscheidung im „Musikmarkt": Bruce
Springsteens Nebraska oder Chris Reas „Shamrock Diaries". Weil „Blinded
by the Light" bei Hilde mein Handy-Klingelton ist. Weil man „Because
the Night" in einem Ford-Fiesta mit Stones-Zunge auf der Motorhaube
noch besser mitgröhlen kann als in der LTU-Arena.
Weil Springsteen
die Stimme einen Hauch tiefer rutscht im Song „Darlington County", als
er die Geschichte zweier New Yorker Jungs intoniert, die am
Unabhängigkeitstag einen drauf machen und prahlen: „Jedem unserer Väter
gehört ein Turm des World Trade Centers." Weil da spürbar wird, wie
seine Geschichten in die Geschichte seines Landes und unseres Lebens
eingewoben sind.
Weil drei Viertel der 38 000 jedes Wort von
„The River" auswendig können und wissen, dass man seine Sorgen immer
zum Fluss trägt. Weil die Mutter aus Nordbögge die Augen verdreht, als
ihr Sohn sagt: „Schlecht war er nicht, aber Lotto King Karl ist
cooler."
Jeder muss entscheiden, wen er für den Soundtrack
seines Lebens verpflichtet. 38 000 hatten 28-mal die Chance, Szenen
ihres Lebens zwischen „Jackson Cage" und „American Land" nachzuspüren.
Besonders viele waren es bei „Trapped", dem Lied, das Gänsehäute hörbar
macht. Das ist auch eine Sabine-Geschichte – gestern passiert vor 20
Jahren. Aber die wollen wir beide nicht in der Zeitung lesen. (NRZ)
Stonezeit