Benzin, Heroin und Salz der Erde

  • Rolling Stones:
    Benzin, Heroin und Salz der Erde

    VON THOMAS KRAMAR (Die Presse) 13.08.2005

    Sie sind schon wieder da. Und Mick Jagger profiliert sich mit einem Spottlied auf "Neo Cons".



    Schon wieder da - die Rolling Stones. | (c) EPA


    Es fehle halt ein wenig an Metapho rik: Mit der ihm eigenen Noncha lance kommentierte der alte Keith Richards den Text seines Kompagnons Mick Jagger. Und tatsächlich: Subtil ist der Song "Sweet Neo Con" nicht, der - strategisch an die richtigen Medien gereicht - in den USA heftig diskutiert wird. Zu Charlie Watts' holzig holperndem Schlagzeug, ausgesprochen leger darüber gelegten Gitarren und einer leicht hysterischen Mundharmonika beginnt er mit den Zeilen "You call yourself a christian / I call you a hypocrite / You call yourself a patriot / I think you're full of . . ." Hier tut der Reim seine verdammte Pflicht, aber Jagger bleibt auch im Weiteren deutlich: "It's liberty for all / democracy's our style / unless you are against us / then it's prison without trial."



    Dann beklagt Jagger nicht ohne Selbstironie die steigenden Benzinpreise ("Gasoline, I drink it every day"), höhnt ein wenig über geschürte Ängste ("Life's getting very scary") und ergänzt schließlich den Refrain ("How come you're so wrong, my sweet neo con?") mit einem Spruchband-kompatiblen Reim: "Where's the money gone? In the pentagon." Der bereits angestellte Vergleich mit "Masters of War" ist absurd: "Sweet Neo Con" ist gegen Bob Dylans raffiniert gesteigerte Anklage roh, wie improvisiert.



    Jedenfalls richte sich der Text "nicht persönlich gegen Bush", erklärte Jagger in der TV-Sendung "Extra". Auf Fan-Homepages wundern sich indessen manche über Jaggers plötzliche politische Wut: "We thought Mick was an old Thatcherite", schreibt da einer. Nun, das ist gemein - auch wenn Jagger, 2002 von der Queen zum Ritter geschlagen, naturgemäß Interesse an geringen Steuern hat. Das rührende "Ruby Tuesday" (1967) kann indessen mit den Zeilen "She just can't be chained, to a life where nothing's gained and nothing's lost" im Rückblick ohne weiteres als wirtschaftsliberal gelesen werden. Und "Satisfaction" ist nur dann politisch, wenn man das Aufbegehren an sich als politisch sehen will; der Ausritt gegen die Werbeindustrie ist da nur eine Petitesse.



    Berühmt wurde ein Interview 1970, in dem Mick Jagger im besten Dandy-Look, die Sonnenbrille im Mundwinkel, beschwor: "I am no marxist." Das Blöde an John Lennon sei, dass er nie Marx gelesen habe, hatte er, der Wirtschaft studiert hatte, ein wenig früher gesagt. Dass das überhaupt ein Thema war, lag vornehmlich am Song "Street Fighting Man" (1968): "Everywhere I hear the sound of marchin', chargin' feet, boy", rief Jagger da und beklagte im Refrain in typischer ironischer Brechung: "But what can a poor boy do, except to sing for a rock'n'roll band, 'cause in sleepy London town there's just no place for street fighting men."



    Noch subtiler war im selben Jahr "Salt of the Earth", wo Jagger im Refrain das Glas auf die "hard working people" erhob, um in der Strophe mit fast erstickter Stimme zu gestehen, dass er diese eigentlich nur als "faceless crowd" wahrnimmt. Der Song endet im gespenstischen Party-Chor: Die Pop-Schickeria trinkt aufs Wohl des gemeinen Volkes. Auch nicht gerade politisch korrekt: "Sweet Black Angel" (1973), als Hommage an die US-Bürgerrechtskämpferin Angela Davies verstanden, die aber als als "pin-up girl" beschrieben wird. 1977 richtete Jagger dann seinen Sarkasmus frontal gegen sich selbst: "Nun sind wir von der Gesellschaft respektiert", heißt es da: "Wir sprechen mit dem Präsidenten über Heroin . . ."



    Mit wenigen Ausnahmen - etwa "Undercover" (1983), mit Zeilen über Gefangene südamerikanischer Diktaturen - blieben die Rolling Stones in ihrer Spätzeit "unpolitisch". Dass Jagger sich nun so heftig äußert, entspringt wohl seiner ehrlichen Überzeugung, aber auch seiner alten Lust, zugleich aufrührerisch zu posieren und von möglichst vielen geliebt zu werden.



    Dieses Begehren prägt auch die restliche Platte "A Bigger Bang": Jagger hat drei, vier Songs geschrieben, die als wirklich originelle Alterswerke gelten können, so die feine Ballade "Streets of Love". Oder "Laugh, I Nearly Died", in dem er als verlorener Sohn posiert, Schüchternheit so innig heuchelt, dass man ihm einfach glaubt. Oder das ätherische "Biggest Mistake", in dem er mit rührender Geste Fehler eingesteht. Aufgefüllt wird die Platte aber mit einer Legion archetypischer Spätphasen-Stones-Songs, die, bald trotzig, bald aufgeregt klingen, als ob man sie schon oft gehört hätte. Nicht schlecht, aber, sagen wir: ästhetisch weniger neo als konservativ. Immerhin, schon im Opener nennt sich Jagger einen "little rooster", kleinen Hahn. Ob Keith Richards mit dieser Metaphorik zufriedener ist?


    http://www.diepresse.com/Artik…el=k&ressort=ke&id=500224

    MICK69.JPGmetallica.ico

    Sweet Cousin Cocaine, lay your cool cool hand on my head...


    Einmal editiert, zuletzt von LittleQueenie ()

  • Hey, 2005 hat keiner auf dieses Posting geantwortet.


    Ist interessant, diesen Artikel 3 Jahre später mal zu lesen. Richtig gut!!! :thumbup:

  • Haha, am besten ernennen wir dich ab sofort zum "Null-Antworten"-Beauftragten! Kümmer dich einfach absofort um verwaiste, nicht beachtete Postings, damit hast du genug zu tun bis die 100000 erreicht sind :ablach :readit

    ~ Words are not enough to say how thankful I am, Keith! ~

  • zähl bitte mal durch, bei wem die Postings oft nicht beantwortet wurden.
    Sollte bisserl getröstet werden.
    :lol