<font size="1"><b class="gesperrt">POP</b><br>
</font><br>
<font color="#ff963b" size="+1">"Ich habe viel kaputtgemacht"<br>
</font><font size="-1"><br>
Der Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards, 61, über sein unruhiges Leben,
seinen strapazierfähigen Körper und die neue Platte der Band<br>
</font><br clear="all">
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<!-- http://www.spiegel.de/kultur/musik/artikel@Middle2 -->
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align="left" border="0">
<tbody>
<tr>
<td>http://www.spiegel.de/spiegel/…ild-505234-369584,00.html</td>
</tr>
<tr>
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<font color="#999999" size="-3">AP</font>
<div class="bu">
<font size="-2">Musiker Richards: "Auf unsere alten Tage werden
wir vielleicht doch noch milde</font>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
</div>
SPIEGEL: Mr. Richards, Ende der Woche startet eine weitere Welttournee
der Rolling Stones, Anfang September erscheint Ihre neue CD "A Bigger
Bang". Wie lange halten Sie es zu Hause eigentlich aus ohne ein Programm
Ihrer Band?<br>
Richards: Das habe ich mich auch schon gefragt und bin zu dem Schluss
gekommen, dass ich es nirgendwo länger als drei Monate am Stück durchstehe.
Dann werde ich immer nervös und muss weiter, auch im Urlaub. Ich bin eben ein
Nomade, der seit seinem 19. Lebensjahr unterwegs ist. Mit den Stones bin ich
geduldiger, da beginnt es erst ab sechs Monaten Leerlauf zu jucken. Das Schöne
ist, dass dann auch ganz zuverlässig immer Mick anruft: Es juckt uns wohl immer
zur selben Zeit.<br>
SPIEGEL: Was sagt Mick dann?<br>
Richards: Er ist immer sehr diplomatisch und zurückhaltend, fast schüchtern,
und sagt in etwa: Falls wir uns entscheiden sollten, noch mal etwas Neues zu
machen, könnte es von ihm aus durchaus losgehen. Ich antworte dann immer:
"Hey Mick, ich habe auf deinen Anruf gewartet, ich bin bereit!" Und
dann starten wir den Motor.<br>
SPIEGEL: In der Vergangenheit haben Sie sich ausgiebig mit Mick Jagger
gezankt, ihn wegen seines vom britischen Königshaus verliehenen Ordens und
seiner Soloplatten verhöhnt. Wie vertragen Sie sich zurzeit?<br>
Richards: Es herrscht totale Harmonie. Das mag auch daran liegen, dass
wir auf unsere alten Tage vielleicht doch noch milde und, ich mag es kaum sagen,
erwachsen werden. Vielleicht entwickelt man aber auch einfach ein Gefühl für
die Vergänglichkeit der Dinge. Letztes Jahr war Charlie Watts in
Krebsbehandlung, und es war nicht klar, wie die Sache ausgehen würde.<br>
Da sagte ich dann eines Tages zu Mick: "Vielleicht sind wir mal die letzten
beiden Originale dieser Band." Man wird da schon nachdenklich. Aber zum Glück
ist die Sache mit Charlie gut ausgegangen, und alles läuft wie gewohnt.<br>
SPIEGEL: Sie und Mick Jagger haben die Arbeit am neuen Album trotzdem zu
zweit begonnen. Waren die anderen beiden beleidigt?<br>
Richards: Warum? Die hätten erst mal nichts zu tun gehabt. Wir mussten
doch erst die Songs schreiben. Dafür machten wir zwei es uns in Micks sehr schönem
Schloss im Loire-Tal bequem und tauschten Ideen für Lieder aus. Als der Rest
der Gang dazukam, ging dann alles sehr schnell, die Platte war nach acht Wochen
fertig. So rasant waren wir seit den sechziger Jahren nicht mehr.<br>
SPIEGEL: Apropos sechziger Jahre: Stimmt es, dass Sie Ihren ersten Song
schrieben, nachdem Sie Ihr damaliger Manager Andrew Loog Oldham in der Küche
eingesperrt hatte?<br>
Richards: Alles wahr. Die Rolling Stones hatten damals ein paar Hits
gehabt, aber nur nachgespielte Lieder. So kam Andrew eines Abends und sagte, es
sei an der Zeit, dass wir nun eigene Lieder aufnähmen. Das bringe mehr Geld und
sei überhaupt interessanter. Mick und ich hielten das für einen Scherz. Wir
spielen die Lieder, aber wir schreiben sie doch nicht, du Irrer, entgegneten
wir. Andrew schob uns in die Küche, legte eine Gitarre auf den Tisch und
verriegelte von draußen die Tür. Ich wollte sie eintreten, aber Mick sagte,
die Reparatur sei zu teuer. Also pinkelten wir ins Waschbecken und hatten, als
wir bei Sonnenaufgang rauskamen, "As Tears Go By" geschrieben.<br>
SPIEGEL: Hat sich die Art, wie Sie und Mick Lieder schreiben, in den
vergangenen 40 Jahren verändert?<br>
Richards: In den Sechzigern saßen wir einfach in einem Raum und haben
Ideen ausgetauscht. Aber zu Beginn der Siebziger, ungefähr zur Zeit von
"Exile on Main Street", haben wir meist nur noch getrennt gearbeitet
und unsere Lieder dann im Studio zusammengeschmissen. Denn wenn wir nicht gerade
auf einer Bühne standen, waren ich und Mick immer an verschiedenen Orten, und
bevor ich Lieder am Telefon schreibe, erschieße ich mich lieber. Eine radikale
Veränderung ist nur, dass man heutzutage eigentlich kein Studio mehr benötigt.
Wir haben einfach ein paar Computer auf den Wohnzimmertisch gestellt und
losgelegt. Das war schon sehr lässig und besser als der ganze Hightech-Mist der
letzten Jahre.<br>
SPIEGEL: Die Musikerin Laurie Anderson hat gesagt, es sei ein Skandal,
dass heute jeder Depp dank moderner und preiswerter Technik seine Hausmusik
professionell aufnehmen könne. Was meinen Sie?<br>
<div>
<table class="assetalignleft" cellSpacing="0" cellPadding="0" width="126"
align="left" border="0">
<tbody>
<tr>
<td>http://www.spiegel.de/spiegel/…ild-271857-369584,00.html</td>
</tr>
<tr>
<td bgColor="#e7e7e7">
<font color="#999999" size="-3">REUTERS</font>
<div class="bu">
<font size="-2">Stones-Konzert (2003): "Das war schon sehr lässig"</font>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
</div>
Richards: Kann schon sein, dass heute mehr Irre als früher Platten
machen, aber vielleicht sind darunter auch Supertalente, die sonst nie entdeckt
würden. Das Problem mit der ganzen Technik ist doch allein, dass es in der
Musikindustrie heute drunter und drüber geht. Zum Beispiel kauft doch kaum noch
jemand in Plattenläden. Ich brenn mir mittlerweile auch meine CDs selbst.<br>
SPIEGEL: Mit "Sweet Neo Con" - "Süßer
Neo-Konservativer" - ist sogar ein explizit politischer Song auf dem Album,
in dem George W. Bush indirekt "Heuchler" genannt wird und der darum
in den USA schon Wirbel gemacht hat. Ist das Teil des späten Erwachsenwerdens?<br>
Richards: Keine Ahnung, das ist auf Micks Mist gewachsen. Aber es gab
bereits politische Songs der Stones in der Vergangenheit. Nehmen Sie
"Street Fighting Man" oder "Sweet Black Angel". Mick war
scharf darauf, "Sweet Neo Con" zu schreiben, ich weniger.<br>
SPIEGEL: Warum?<br>
Richards: Ich wiederhole, was ich Mick sagte: Politik ist eine spannende
Angelegenheit, aber in Rock'n'Roll-Songs hat sie meiner Meinung nach nichts
verloren - das passt nicht. Ich will nicht zu Parteiprogrammen oder so Gitarre
spielen. Das ist öde. Aber es ist auch kein Tabu, und da es Mick wichtig war,
habe ich mitgemacht, denn wir sind ein Team!<br>
SPIEGEL: Wie stark haben sich die USA, wo Sie ja die meiste Zeit
verbringen, in den letzten Jahren verändert?<br>
Richards: Stimmt, das Richards-Hauptquartier ist in Connecticut. Ich war
am 11. September also sozusagen um die Ecke. Meine Enkelkinder gingen beim World
Trade Center zur Schule. Zum Glück sind das echte Richards, was in diesem Fall
bedeutet, dass sie sehr zuverlässig total zu spät waren. Sie waren noch auf
der Straße, als das erste Flugzeug kam, und sahen zu, wie es hereinkrachte.
Mein Haus wurde in den Wochen danach zu einer Art Fünf-Sterne- Rock'n'Roll-Flüchtlingslager.
Einige von Micks Kindern kamen, auch weil ihre Sachen alle verbrannt waren.
Schlimme Zeit. Das alles hinterließ schon einen spürbaren Eindruck in der
amerikanischen Psyche. Aber das Leben muss weitergehen: Schule, Arbeit, Hund
ausführen. Man darf sich einfach nicht zu sehr beeindrucken lassen.<br>
SPIEGEL: Wundern Sie sich auch mal, dass Ihr Körper nach über vier
Jahrzehnten im Dienst der Rolling Stones noch mitspielt?<br>
Richards: Ich bin natürlich sehr dankbar, dass mein Körper das alles
mitgemacht hat. Aber ich denke darüber auch nicht so viel nach, wie manche
Menschen annehmen. Mal abgesehen von meinem Heroinentzug hat mein Körper mich
immer gut behandelt. Und ich habe ihn wirklich arg strapaziert und sehr viel
kaputtgemacht: vier gebrochene Rippen, zwei lädierte Lungen, viele gebrochene
Finger und Zehen. Aber ich habe einen echten Rock'n'Roll-Kampfkörper, deshalb
heilt alles in Rekordzeit. Die Ärzte, die mich nach Verletzungen immer für
eine Weile aus dem Verkehr ziehen wollen, staunen regelmäßig, wenn alles
wirklich so schnell heilt, wie ich es voraussage. Es tut nicht mal mehr weh.
Zuletzt habe ich mir in Nürnberg was gebrochen. Gilt das als Kriegsverletzung?<br>
SPIEGEL: Angeblich lassen Sie sich regelmäßig in der Schweiz das Blut
austauschen. Guter Scherz, oder ist da was dran?<br>
Richards: Super Legende und genauso langlebig wie ich, aber Blödsinn.
Die Geschichte geht so: Ich war auf dem Weg zu einem Heroinentzug in der
Schweiz. Auf dem Flughafen von Heathrow traf ich ein paar Jungs, die mich
fragten, wo die Reise hingeht. Ich sagte, in die Schweiz, mein Blut austauschen.
Ein Scherz. Sie haben es offensichtlich nicht kapiert.<br>
SPIEGEL: Ihre Körpersprache hat den Schauspieler Johnny Depp zu seiner
Darstellung eines Piraten im Hollywood-Hit "Fluch der Karibik"
inspiriert. Fühlten Sie sich geschmeichelt?<br>
Richards: Johnny ist ein guter Kumpel. Die Stiefel, die ich trage, gehören
eigentlich ihm, wir haben exakt dieselbe Schuhgröße. Er hat mir auch schon oft
erzählt, wie toll er meine Körpersprache findet (steht auf und geht wankend
durch das Zimmer). Er hat das ziemlich gut hinbekommen. Neulich besuchte er mich
mit einem Satz Disney-Piratenkostüme. Wir verkleideten uns einen Nachmittag
lang und hatten einen Höllenspaß. Das eine meiner Enkelkinder denkt jetzt, ich
sei hauptberuflich Pirat.<br>
SPIEGEL: Sind Sie eigentlich immer noch bewaffnet wie früher?<br>
Richards: (greift sich in den Schritt und zieht ein enormes Messer
heraus) Sehr handlich, sehr kühl und aus Stahl. Aber heute benutze ich es nur
noch, damit meine Hose nicht runterrutscht.<br>
SPIEGEL: Stimmt es, dass Sie in der Fortsetzung von "Fluch der
Karibik" Johnny Depps Vater spielen werden?<br>
Richards: Das ist so geplant und könnte auch klappen, aber es hängt
alles davon ab, wie die Dreharbeiten sich mit unserem Tourplan vertragen.<br>
SPIEGEL: Sie bereiten sich hier in Toronto gerade auf Ihre Welttournee
vor. Auf der Stones-Website fordern Sie Fans auf, Songwünsche zu übermitteln.
Erinnern Sie sich eigentlich an jede Nummer, die Sie geschrieben haben?<br>
Richards: Mein Kopf nicht, aber meine Finger. Die sind immer etwas
schneller als mein Körper, und ich danke ihnen nach jedem Konzert!<br>
<font size="-2">INTERVIEW: CHRISTOPH DALLACH</font>