Marianne Faithfull - Easy Come, Easy Go

  • SPIEGEL 22.12.2008
    POP-IKONE MARIANNE FAITHFULL
    "Ich sah umwerfend gut aus"


    Rolling-Stones-Muse, Sexsymbol und Junkie: Die britische Sängerin Marianne Faithfull hat einiges erlebt. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview verrät sie, warum sie Keith Richards nur Faxe schickt, Ulrike Meinhof bewundert und den deutschen Fernsehkritiker Marcel Reich-Ranicki gut verstehen kann.


    SPIEGEL ONLINE: Mrs. Faithfull, ...


    Faithfull: Ich hoffe, Sie wollen nur über meine Platte "Easy Come Easy Go" sprechen, denn ich habe lange und hart daran gearbeitet, und nun will ich nichts mehr, außer Werbung dafür zu machen, und keine Fragen beantworten, die nichts damit zu tun haben. Verstehen Sie das?


    SPIEGEL ONLINE: Sie interpretieren auf ihrer Platte viele, sehr unterschiedliche fremde Lieder von Dolly Parton, Morrissey, Brian Eno bis zu Leonard Bernstein und The Decemberists. Wie kamen Sie zu der eklektischen Auswahl?


    Faithfull: Eineinhalb Jahre habe ich mir Zeit gelassen, um über passende Lieder nachzudenken. Dann hat noch mein Produzent Hal Willner ein paar Vorschläge gemacht. Die endgültige Auswahl ist also von uns beiden. "Sing Me Back Home" von Merle Haggard zum Beispiel kenne ich noch aus den sechziger Jahren, wo es mir Keith Richards beibrachte, der hier bei meiner Version auch wieder mitsingt und spielt. Andererseits hatte ich noch nie im Leben von The Decemberists, Espers und dem Black Rebel Motorcycle Club gehört, die Hal vorschlug.


    SPIEGEL ONLINE: Gibt es die endgültige Interpretation eines Songs, die so perfekt ist, dass man lieber die Finger davon lässt?


    Faithfull: Ella Fitzgerald war eine technisch atemberaubende Sängerin, ihre Version von "Black Coffee" ist perfekt, wenn Sie so wollen. Bobby Darin und Billie Holiday haben es auch toll dargeboten. Andererseits bin ich das Gegenteil, eine unperfekte, ja, merkwürdige Sängerin, mit einer lustigen Stimme, die nicht davon träumen kann, mit jemandem wie Ella Fitzgerald zu konkurrieren. Also habe ich das Stück auch eingespielt - außer Konkurrenz sozusagen. Aber Bob Dylan, Neil Young oder Keith Richards können auch nicht wirklich singen, haben auch das, was ich eine lustige Stimme nenne. Das hält sie aber zum Glück auch nicht von der Arbeit ab.


    SPIEGEL ONLINE: Sie haben für diese Platte viele prominente Musiker zusammengetrommelt: alte Hasen wie Nick Cave, Keith Richards, Cat Power oder Jarvis Cocker. Dazu kommen all die Kinder prominenter Musiker, die auch mitmachen, wie Sean Lennon, Rufus Wainwright, Teddy Thompson oder Jenni Muldaur. Fragen die Sie nach Anekdoten aus den wilden Zeiten, die ihre Eltern lieber verschweigen?


    Faithfull: Eigentlich wollte nur Sean wissen, wie das früher so war. Er war damals zu jung und hat an seinen Vater nur sehr bruchstückhafte Erinnerungen, aber ich werde mich hüten, ihm irgendwelchen sensationellen Blödsinn aufzutischen. Ich habe ihm nur gesagt, dass seine Eltern sich sehr geliebt haben, und dass deren unkonventionelle Ehe sehr viel glücklicher war als es heute immer dargestellt wird. Auch dass John in seinen Sohn extrem vernarrt war. Sean kannte lustigerweise das Studio in New York, in dem wir arbeiteten, weil seine Eltern dort ihr Album "Double Fantasy" eingespielt haben.


    SPIEGEL ONLINE: Damals, in den sechziger Jahren, waren Sie ja eng mit den Rolling Stones verbunden. Wie aufwendig ist es heutzutage für Sie, Kontakt zu Keith Richards aufzunehmen. Haben Sie seine Handynummer?


    Faithfull: Quatsch, wir haben seine Managerin angerufen, und die hat meine Einladung an ihn weitergeleitet. Keith hat umgehend zugesagt und ein Fax geschickt. Ich habe ihm dann ein Fax zurückgeschrieben, und er antwortete wiederum mit einem sehr liebevollen Fax. Keith war in der Karibik, ich in Paris, und moderner als Fax wird es bei uns beiden nicht mehr. Keith kann mit Computern und E-Mails nichts anfangen, ich auch nicht.


    SPIEGEL ONLINE: Haben Sie einen iPod?


    Faithfull: Zugegeben, den habe ich, aber eigentlich ist er mir auch zu digital. Das klingt doch alles schrecklich, ich höre nur Schallplatten. Aber Weihnachten bin ich zum Beispiel in Indien, und da ist es natürlich ganz praktisch, so ein iPod-Ding zu haben.


    SPIEGEL ONLINE: War es damals in den Sechzigern einfacher, berühmt zu sein?


    Faithfull: Ich glaube schon, obwohl ich den Rummel immer anstrengend fand. Ich habe das nie gesucht, wie heute Lindsay Lohan oder so. Ich bin in diese Welt zufällig reingerutscht, als ich Andrew Loog Oldham, den Manager der Rolling Stones, auf einer Party traf und, nun ja, entdeckt wurde. Was da auf mich zu kam, war mir wirklich nicht im Ansatz bewusst. Wissen Sie, ich habe nicht verstanden, dass so etwas wie Ruhm von Dauer sein kann. Ich glaube Mick und Keith, John und Paul hatten das kapiert, aber ich eben nicht. Ich war naiv und dachte, ich habe etwas Spaß und kehre irgendwann zu meinem alten, normalen Leben zurück.


    SPIEGEL ONLINE: Jetzt machen Sie sich naiver, als Sie waren, oder?


    Faithfull: Keineswegs, ich war als Mädchen im Kloster, einem Ort, an dem man sich vom Wahnsinn des Popsänger-Daseins kein Bild macht. Ich träumte davon, Schriftstellerin, Schauspielerin oder Lehrerin zu werden. Alles sehr unschuldig. Träume eben. Ruhm hielt ich für vulgär.


    SPIEGEL ONLINE: Heute hat jeder ein Fotohandy. Verstecken geht kaum noch. Vulgäre Zeiten, oder?


    Faithfull: Deswegen gehe ich auch nur noch sehr selten vor die Tür. Ich lebe abgeschieden in Irland und Paris. Auf einer Party werden Sie mich kaum treffen. Ich habe außerdem gelernt, den Ruhm auszublenden.

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  • SPIEGEL ONLINE: Wie macht man das?


    Faithfull: Das Interesse und Gegaffe Fremder muss man ignorieren. Ich war neulich auf einer Preisverleihung, wo ich etwas überreichen musste. Hinter der Bühne waren Massen von Fotografen. Ich saß da in einem neuen Chanel-Kleid und sah wirklich umwerfend gut aus, aber fühlte mich trotzdem nicht wohl. Dann habe ich das Buch "Hollywood" von Gore Vidal rausgeholt, darin gelesen und es geschafft, den Irrsinn, all das Geklicke der Kameras um mich herum, einfach auszublenden. Glauben Sie mir, das geht! Wenn man so lange im Interesse der Öffentlichkeit stand wie ich, muss man das lernen, sonst überlebt man den Zirkus nicht.


    SPIEGEL ONLINE: Ist der kommerzielle Erfolg ihrer neuen Platte wichtig für Sie?


    Faithfull: Theoretisch ja, aber mir ist natürlich bewusst, dass kaum noch jemand Geld für Platten ausgibt, also muss ich wohl viele Konzerte geben, um über die Runden zu kommen. Aber dieses Album ist das wichtigste meiner Karriere seit "Broken English".


    SPIEGEL ONLINE: Stimmt es eigentlich, dass Ulrike Meinhof Sie zu "Broken English" inspiriert hat?


    Faithfull: Absolut. Die ist in Deutschland gerade wieder im Gespräch, oder? Ich habe den "Baader Meinhof Komplex" nicht gesehen, aber gehört, dass er sehr simpel sein soll. Meinhof war eine sehr komplexe Persönlichkeit. Es geht ja bei der Geschichte von Baader-Meinhof nicht um Schießereien und den Terror, sondern viel mehr um die Charaktere dahinter. Es sind üble Zeiten, die Menschen so weit bringen.


    SPIEGEL ONLINE: Sie sollen mal gesagt haben, dass Sie unter anderen Umständen vielleicht auch zur Terroristin geworden wären. Stimmt das?


    Faithfull: So habe ich das sicher nicht formuliert. Was ich meinte war, dass mir die Wut, die viele vorantrieb, durchaus vertraut war. Ulrike Meinhof hatte diesen tief sitzenden Schmerz von klein auf, soweit ich da richtig informiert bin, weil sie eine unerfreuliche Kindheit hatte. Das konnte ich nachvollziehen. Ich bin auch mit viel Wut aufgewachsen. Als meine Mutter mich zur Klosterschule schickte, war ich geschockt. Man ist verwirrt, verletzt und wird wütend. In meinem Fall habe ich dann eben Drogen entdeckt. Man beginnt, entweder sich selbst zu hassen, so wie ich, oder die Gesellschaft, so wie Ulrike Meinhof. Dafür wurde sie dann im Gefängnis erschossen. Von hinten in den Kopf, oder?


    SPIEGEL ONLINE: Das ist eine Legende.


    Faithfull: Ach, das ist nicht bewiesen?


    SPIEGEL ONLINE: Eher Unsinn. Sie hat sich mit einem Handtuch an ihrem Zellenfenster erhängt.


    ZUR PERSON
    Marianne Faithfull, 1946 im englischen Hampstead geboren, wuchs im "Swinging London" der sechziger Jahre auf. Sie spielte mit den Rolling Stones, war zeitweilig auch mit Keith Richards und Mick Jagger liiert. Der britische Rockjournalist Nik Cohn beschrieb das damals 20- jährige Sexsymbol: "Sie schockte, aber sie tat es mit niedlichem Akzent, ohne dabei vulgär zu werden." In den Folgejahren machte ihr zunehmend ihre Drogensucht zu schaffen. Bis heute nahm Faithfull rund 18 Alben auf und war auch in etlichen Kinofilmen zu sehen, u.a. in "Irina Palm" von Sam Gabarsky (2007). Im November erschien ihre Platte "Easy Come Easy Go".


    Faithfull: Gut. Natürlich ist mir bewusst, das die RAF sehr kaltblütig vorging und ihre Verbrechen skrupellos durchführte. Wie junge Menschen das heute glamourös finden können, ist mir ein Rätsel. Ich verstehe auch nicht, warum jemand Charles Manson cool finden konnte. Aber der Action-RAF-Film scheint trotzdem in unsere Zeit zu passen, einer Ära ohne jegliche Kultur.


    SPIEGEL ONLINE: Das ist nun aber eine sehr vereinfachte Perspektive.


    Faithfull: Aber leider wahr. Alles ist doch nur noch populistisch, simplifiziert und überheblich. Machen Sie doch mal den Fernseher an, wenn Sie mir nicht glauben. Ich habe von dem Eklat mit Marcel Reich-Ranicki gehört und kann den Mann nur beglückwünschen für seinen Mut. Das Fernsehen ist genauso übel, wie er sagt.


    SPIEGEL ONLINE: Es gibt sehr gut gemachte Fernsehangebote, brillant geschriebene Serien und Dokumentationen. Das können Sie doch nicht abstreiten!


    Faithfull: Nein, aber das Problem ist doch, dass man eine Grundbildung haben muss, um solche versteckten Angebote zu entdecken. Die meisten Menschen lassen sich da verdummen. Ich mache mir Sorgen um eine Jugend, der vorgegaukelt wird, dass Ruhm alles ist, und die keine Eltern haben, die sie aufklären. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu streng. Man muss das alles mit Humor nehmen. Das hilft, da kenne ich mich aus.


    Marianne Faithfull - "Easy Come Easy Go", erschienen bei Naive/Indigo
    Das Interview führte Christoph Dallach

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