Der Lichterketten-Wahnsinn mit 30.000 Watt
Allüberall auf den Tannenspitzen – sieht man jetzt die Lichterketten blitzen.
Oder: Ein kleiner Nachbarschafts-Wettstreit um die höchste Leuchtkraft.
(Wolfgang Huber)
1. Dezember
Mein Kleiner legt seinen Wunschzettel auf die Fensterbank. Meine Frau zündet feierlich die 1. Adventskerze an. Das Girokonto freut sich übers Weihnachtsgeld, Halsschmerzen kündigen den Dezember-Infekt an, alles wie immer, aber… irgendwas fehlt noch?!
2. Dezember
Die Außenlichterkette! Ich habe die Außenlichterkette vergessen. Die vom letzten Jahr, mit 60 Birnchen, zehn Meter Zugangsleitung und Niedervolttransformator. Irgendwo im Keller. Mein Nachbar hat seine schon längst aufgehängt. Die hat sogar 90. Abends um 22 Uhr finde ich sie in der Osterkiste, unter dem elektrischen Plastikhasen, hänge sie im strömenden Regen in den Baum rechts neben unserer Haustüre. Sie funktioniert. Irgendwie kitschig zwar, aber sie funktioniert?
3. Dezember
Mein Sohn ist begeistert. Er zählt die Birnchen meiner Außenlichterkette und die Tage bis Heiligabend.
4. Dezember
Mein Nachbar hat eine zusätzliche 150er-Außen-Lichtergirlande in blau über seine Hecke gehangen. "Boah, guck mal Papa", sagt mein Kleiner, "ist ja voll fett!"
5. Dezember
Ich komme spät nach Hause, wegen der Einkäufe. Habe eine 200-er Außenlichterkette gekauft, mit sieben verschiedenen programmierbaren Funktionen: Färb-, Blink-, Wechsel- Gleitlicht und so weiter, inklusive Fernsteuerung. Außerdem drei Innenskulpturen für die Fenster an der Straßenseite. Um Mitternacht bin ich fertig. Meine Frau schläft schon. Ich bin sicher, sie wird begeistert sein.
6. Dezember
Vor dem Frühstück inspiziert mein Kleiner die neue Lichterkette, die vom Eingang über den Baum und die Garage hoch bis zu seinem Schlafzimmer reicht. "Megafett", sagt er und macht das Victory-Zeichen. "Ja, hat Papa toll gemacht" sagt meine Frau und lächelt mich an.
7. Dezember
Mein Nachbar hat mich heute nicht gegrüßt. Ich versteh' das nicht. Noch nicht.
8. Dezember
Meine Frau ruft mich im Büro an. "Mach dich auf was gefasst", sagt sie. Ich komme erst im Dunkeln nach Hause und sehe es schon von weitem: Ein Lichtermeer über dem riesigen Haselnussstrauch meines Nachbarn, mindestens 500 Lämpchen. "Nicht schlecht, oder?" sagt meine Frau. "Supermegafett" sagt mein Kleiner. "Da bin ich wieder", sagt meine Gastritis. Ich koche mir einen Fencheltee und gehe um 21 Uhr ins Bett. Um 4 Uhr schlafe ich ein.
9. Dezember
Ich habe einen 1,70 Meter großen, aufblasbaren Weihnachtsmann gekauft, mit Beleuchtung. Im Dunkeln grabe ich mit Hacke und Schaufel die unterirdische Zuleitung. Mit riesigen Heringen wird das Ding sturmsicher verankert. Meine Frau sagt nichts. "Na ja", sagt mein Kleiner.
10. Dezember
Im Vorgarten meines Nachbarn steht ein beleuchteter Rentierschlitten. Zwei mal sechs Meter lang. Mein Kleiner fragt: "Bitte, bitte, darf ich da mal drauf?!" Und dann: "Mama, warum sagt der Papa gar nichts mehr?"
11. Dezember
Auf meinem Frühstückstisch liegt ein Kontoauszug. Das Weihnachtsgeld ist fast weg, wegen dem "Lichterquatsch", sagt meine Frau. Ich melde mich einen Tag krank. Nachmittags tätige ich online die erforderlichen Bestellungen. Profi-Weihnachtsschmuck-Online, Abteilung Außendeko. Den 50-Euro-Aufschlag für den 24-Stunden-Schnell-Service nehme ich in Kauf.
12. Dezember
Meine Frau ruft im Büro an. "Da ist ein Paket für dich."
"Annehmen" sage ich, lege auf und melde mich wegen eines Außentermins ab. Mein Sohn hilft mir auspacken: ein beleuchtetes Plastikiglu, zwei beleuchtete Schneemänner, drei 800er-Außen-Lichterketten mit Niedervolttransformator, Zeitschaltuhr und 15 automatisch wechselnden Programmen. Außerdem 75 Glitzer-Leuchtsterne mit Bodenstecker. Ich arbeite ohne Pause durch, verlege 45 Meter Erdkabel und installiere sieben Außensteckdosen. Am nächsten Morgen um 7 Uhr bin ich fertig.