Für Tanzmuffel ungeeignet
VON DANIEL BARTETZKO (Frankfurter Rundschau)
Lionel Richie in der Festhalle
Ein gewissenhafter und ausschließlich der Kunst verpflichteter Musikkritiker muss ja grundprinzipiell irgendetwas zu Bemängelndes finden. Fangen wir also, um das Konzert von Lionel Richie objektiv zu würdigen, damit einmal an. Erstens: quäkende Synthesizer können keinen Bläsersatz ersetzen. Zweitens: Der Sound in der Frankfurter Festhalle ist nich' dolle. Das war's.
Kommen wir zum Wesentlichen: zweieinhalb Stunden Entertainment der geschmeidigsten, gleichwohl großartigsten, amerikanischen Art. Die das Publikum in der ausverkauften und aus unerfindlichen Gründen komplett bestuhlten Halle zu Tanz- und Jubelorgien hinreißt. Schon das prätentiöse Intro mit Keyboardfanfaren wagnerianischen Ausmaßes und Schwarzweiß-Bildern des Sängers auf drei Leinwänden zeugt von einem durchaus nicht unsympathischen Größenwahn. Von jenen Leinwänden aus wird er uns alle im Blick behalten, wie auch wir jede seiner Schweißperlen tropfen sehen können. Wer dermaßen viele Hits wie Lionel Ritchie komponiert hat, dabei ohne sehr schlimme Ausrutscher mühelos zwischen Schmuseballaden, Funk, Soul, Rock und Pop hin- und hergleitet, in den Siebziger Jahren als Mitglied der Commodores den vom Aussterben bedrohten Motown-Sound am Leben hielt und es seither schafft, in silbernen Seidenhemden cool auszusehen, dem sei es gegönnt, sich ein Bisschen selbst zu feiern.
Schwerstarbeit für die Ordner
Als Ritchie unter Jubel die Bühne betritt, startet seine Show sogleich mit "Just for you", dem bislang letzten größeren Hit. Und umgehend haben die in Schlips und Anzug verpackten Ordner Schwerstarbeit zu verrichten, um die zügellos gutgelaunten und tanzwilligen Gäste auf ihren Plätzen zu halten. Die Gänge bleiben frei, Basta. Zur Beruhigung wird mit "Penny Lover" gleich eine Ballade nachgeschoben, dann noch irgendetwas Neues. Schließlich sind alle Musiker warmgespielt. Und so führt die Reise durch seinen Hitkosmos zu diversen musikalischen wie gruppendynamischen Höhepunkten. Da gibt es Klassiker wie "Easy", "Stuck on You" oder "Still", in denen die Souveränität des Meisters, mal eben vom Witze machenden Conférencier zum beseelten Crooner umzuschwenken, schlicht beeindruckt.
Da gibt es aber auch die Gassenhauer wie "Running with the night" oder "Dancing on the Ceiling", die in ihrer Vielschichtigkeit den Mann am Mischpult offenbar Resignieren lassen. Die Festhalle und ihre Akustik ist eben älter als die Popmusik: Der Sound ist in diesen Momenten laut und grottenschlecht, doch niemanden interessiert es. Diejenigen, die jetzt noch sitzen, kann man an einer Hand abzählen.
Zwischendrin schneit mal kurz Grace Jones zum Hallosagen herein, und gegen Ende der Show, die wirklich brillant zwischen Spielfreude und Massenbeglückung, Kalkül und Spontaneität balanciert, kommen noch einige Commodores-Nummern zu Gehör. Hier vermisst man dann den eingangs erwähnten Bläsersatz, der Stücke wie "Brick House" erst zu echten Funk-Krachern macht. Vielleicht lernt man ja den Keyboarder fürs nächste Mal auf einer Trompete an; der Gitarrist spielt schließlich auch veritabel Saxophon. So könnten die beiden das Publikum, das jetzt endlich ohne Saalordner tanzen darf, vollends in die Extase pusten.
Zur Zugabe gibt's natürlich noch die größten Hits. Ohne "Hello" und "All night long" lässt Lionel Richie schließlich niemanden nach Hause gehen. Als Schmankerl donnert die Band ein echtes Rock'n'Roll-Finale dahin und der Bassist haut sogar noch sein Instrument kaputt.
Das war das einzig unvorhersehbare dieses Abends. Manchmal kann auch eine perfekt durchorganisierte Show, die keinen Hehl aus ihrer Professionalität macht, begeistern. Drei Seidenhemden (silbern, schwarz und rot) waren am Ende durchgeschwitzt. That's Entertainment!