Micks erstes Mädchen
Wie wird man erwachsen, wenn der Vater ein Rockstar ist? Indem man eine eigene Familie hat. Jade Jagger, 33, bekam früh zwei Töchter, zog nach Ibiza und ist heute Chefdesignerin eines Luxus-Juweliers
ade Jagger kommt "unplugged". So nennt man Musik, die keinen Strom, nichts Künstliches braucht. Genauso ist ihr Look. Jade Jaggers Locken wollen keinen Föhn, ihre Kleider keine Bügelfalten. Sie ist so etwas wie ein Wash-and-go-girl: natürlich schön. So auch an diesem Morgen im Atelier des Londoner Juweliers Garrard, dessen Chefdesignerin sie ist. In einem weißen, wehenden Kleid fährt sie vor, Spange im Haar, Flip-Flops an den nackten Füßen: die Rolling-Stone-Tochter.
Die "Erstgeborene!", wie sie betont. Sie hat sich verspätet. Macht ja nichts, die Queen ist auch nie pünktlich. "Hi" haucht ihr Mund, der Mund, eine kurze Begrüßung, bevor sich ihr Körper fürs Foto zurechtrekelt: auf einer Sofa-Armlehne! Was für ein Auftritt. Jade Jagger ist nicht sehr groß. Vielleicht sitzt sie darum gern etwas höher. Vielleicht sitzt sie aber auch deshalb so, weil Mädchen wie sie einfach immer alles anders machen. Die Frau ist eine Diva. Denkt man erst einmal.
Welt am Sonntag: Welche Ihrer angeblich vielen Attitüden nervt Sie eigentlich selbst am meisten?
Jade Jagger Ich bin schüchtern. Das wird mir häufig als Arroganz ausgelegt. Wenn ich etwa auf Partys stehe und keinen Menschen kenne, ist mir das unangenehm. Große Gruppen, fremde Menschen machen mich nervös.
Was machen Sie dagegen?
Jagger: Ich trinke Champagner: Das macht doof. Und dann ist man schüchtern und doof.
Beginnen wir mal nüchtern: Sie machen das, was viele Töchter aus gutem Hause machen. Schmuck. Nicht diese Halbedelsteinnummer. Sie fädeln keine Jadesteine auf, aber Sie haben diesen Kettentrend erfunden. Und das, was man heute weltweit "Boho" oder "Bohemien Chic" nennt. Nun läuft jeder so rum: Ärgert Sie das?
Jagger: Es ist nicht mehr wirklich mein Stil. Ich habe ihn auch nicht erfunden. Ich habe ihn gelebt. Aber ich bin da schon länger herausgewachsen. Ich mag es heute wieder eleganter.
Nur noch einmal, damit es auch jeder versteht: Was genau ist "Bohemien Hippie"?
Jagger: Das hat mit Reisen zu tun, den Beduinen, all den alten Stämmen, die umhergezogen sind. Überall, wo sie waren, haben sie Dinge gefunden und gesammelt, lauter kleine Schätze. Daraus sind wunderschöne Kollektionen entstanden. So gesehen bin ich heute auch etwas Boho. (Zeigt auf ihren Kroko-Gürtel): Das ist mein crazy Crocodile-Dundee-Gürtel aus Australien. Die Flip-Flops sind aus Japan. Das Kleid aus London, mein Knüpfarmband aus Korea.
Dann entsteht der Stil einfach, wenn man soviel reist wie Sie. Sie sind ja ein Hippie mit Geld, ein "Bomo" sozusagen. Ein "Bohemien Millionaire".
Jagger: Stil hat nichts mit Geld zu tun. Du mußt dich wohlfühlen in deinen Klamotten. Dann stehen sie dir auch. Wenn du keine Jeans magst, trag sie nicht. Wenn du auf hohen Absätzen nicht gehen kannst, laß die Dinger stehen. Alles andere wirkt albern.
Ich in Ihrem weißen Wickelgürtelkleid und mit Flip-Flops würde wirken wie gerade aufgestanden. Bei Ihnen hat es Stil. Wie lange grübeln Sie morgens über Ihr Outfit?
Jagger: Fünf Minuten. Ich zieh mich an, fertig. Ich schminke mich im Auto.
Der Jagger-Mund ist legendär. Muß man solche Lippen überhaupt noch schminken?
Jagger: Ich benutze immer ein Liquid von Mac, "Pussy Cat". Darauf hält jeder Lippenstift.
Überhaupt: Sie sehen aus wie ein gerade wachgeküßtes Milupa-Baby. Wie kriegt man solche Haut?
Jagger: Als Kind hatte ich Ekzeme. Heute schwöre ich auf die Produkte von Dr. Hauschka. Ich benutze viel Hautöl. Und Sonne ist gut. Schwimmen, frische Luft, Yoga. Und guter Sex!
Wie verführt denn eine Jagger? Was tragen Sie zum Beispiel nachts?
Jagger: Nichts.
Nicht mal einen Duft?
Jagger: Doch, ich rieche nach Crème de la Mer, meiner Gesichtscreme. Und nach Guerlain Mitsuoko, meinem Parfüm.
Wenn Sie einmal länger verreisen, was muß dann unbedingt in die Reisetasche?
Jagger: Blackberry und iPod.
Was laden Sie für den denn aus dem Netz herunter?
Jagger: Alles. Vom neuen Missy-Elliott-Album "Cookbook" bis zu den alten Money-Waters-Alben. Auch Stücke von den Stones, klar. "Hot Stuff" zum Beispiel.
Sie leben auf Ibiza, mit Wigwamzelten als Gästezimmern, in denen auch schon Kate Moss übernachtet hat. Über Ihrem Pool glitzert eine Discokugel. Dann ist da noch ein Tonstudio für Ihren Freund, den Musiker Dan Williams, es gibt fünf Hunde, 300 Paar Schuhe, Warhol an den Wänden und Rohkost im Kühlschrank ...
Jagger: ... und nicht zu vergessen: meine Töchter Assisi, 13, und Amber, 10. Sie sind der Grund, warum ich überhaupt auf der Insel lebe, wo sie so gesund und frei aufwachsen konnten. Jetzt suche ich ein Haus in London. Wir werden in die Stadt zurückziehen. In London gibt es einfach bessere Schulen.
Machen Ihnen die Anschläge in London keine Angst?
Jagger: Nein, wir alle leben heute mit dem ständigen Risiko von Terroranschlägen, deswegen ändere ich aber nicht mein Leben. Gut, ich fahre nicht U-Bahn, aber die war mir immer schon unangenehm. Im Grunde leben wir heute in einer der sichersten Zeiten. Okay, es gibt diese Momente. Gefahren. Aber vor 150 Jahren? Was für ein Mist-Leben war das!
Sie wirken sehr gelassen. Liegt es daran, daß Sie so früh, mit 20, Mutter geworden sind?
Jagger: Vielleicht. Ich habe mich damals toll gefühlt, jung, voller Energie. Wir, die Mädchen und ich, sind buchstäblich zusammen aufgewachsen. Meine Kinder haben mich erwachsen gemacht. Kinder sind das Beste, was uns Frauen passieren kann. Ich hätte gern mehr davon.
Hippie und Mutter sein - geht das?
Jagger: Bei uns zu Hause herrschen wenige, aber klare Regeln. Ich wünsche etwa, daß sich alle zu den Mahlzeiten gemeinsam an den Tisch setzen. Ich bin kein Hippie im Sinne von Verwahrlosung, ich mag freies Denken. Aber dazu gehört, daß man lernt, sich zu artikulieren, zuzuhören, sich eine Meinung zu bilden.
Ihr Vater war ja auch eher streng.
Jagger: Gleichzeitig hat er mir die Welt gezeigt. Ich war neun, als er mich nach Kaschmir und Ladakh mitnahm. Trekking im Himalaya und all das. Meiner katholischen Mutter habe ich fünf Jahre Klosterschule zu verdanken, zusammen mit 300 Mädchen!
Andere Kinder haben mit Fingerfarbe gemanscht, Sie haben mit Andy Warhol gemalt. Und ihm dafür Monopoly beigebracht. Da waren Sie vier und er 44.
Jagger: Und Steve Rubell nahm mich mit zum Plattenkaufen.
Der Besitzer des "Studio 54", New Yorks Disco-Tempel der 80er.
Jagger: Ja, ja. Und jetzt kommt wieder die Story, wie meine Mutter dort auf dem weißen Pferd hereingeritten kam. Manchmal kann man es nicht mehr hören.
Schämen Sie sich für Ihre Eltern?
Jagger: Es war leicht und schwer zugleich. Alle Menschen fragen mich immer wieder das gleiche. Als ob sich mein Leben nur um einen weißen Yves-Saint-Laurent-Hochzeitsanzug drehen würde. Dabei war ich, als meine Mutter heiratete, nicht mal geboren. Kein Kind ist besessen von seinen Eltern. Meine Eltern sind meine Eltern. Nicht mehr und nicht weniger. Aber es hat mir sicher gutgetan, daß ich irgendwann meine eigene Familie hatte. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre?
Vielleicht ein Model wie Schwester Lizzy? Mit Stiefmutter Jerry Hall hatten Sie einmal ein Familientreffen auf Plakaten: Gemeinsam modelten Sie für H&M.
Jagger: Sie und ich haben für H&M gemodelt, aber nicht gemeinsam.
Wie ist es denn bei Jaggers: mit Mick Jagger, vier Frauen und sieben Kindern klarzukommen?
Jagger: Mein Vater ist sehr gut darin, die Familie zu vereinen. Weihnachten und Geburtstage verbringen wir zusammen. Mein Vater ist toll. Immer da, wenn man ihn braucht.
So wie damals, als Sie mit 16 vom Internat flogen, angeblich wegen Drogen?
Jagger: Weswegen auch immer. Ich glaube einfach, nach fünf Jahren hatten die genug von mir. Ich hielt mich eben an keine Regeln. Früher war ich sehr burschikos, hab mich geprügelt und so. Irgendwann habe aber auch ich begriffen, daß ich ein Mädchen bin und daß "Mädchensein" auch schön sein kann. So kam ich überhaupt auf meine Ketten. Ich dachte, da vorne muß man ein bißchen was ausfüllen. Ich mochte immer schon tiefe Ausschnitte.
Die Sie heute mit Diamanten für circa 60 000 Pfund dekorieren.
Jagger: Es geht nicht um den Geldwert. Schmuck beschützt. Und ist stark spirituell.
Einen Ehering tragen Sie aber nicht.
Jagger: Ich bin kein Heiratstyp. Zuviel Konvention für mich. Ich muß nicht das Gesetz in mein Liebesleben bringen.
Dafür könnten Sie vier Ringe im Ohr tragen.
Jagger: Meine ersten zwei Ohrlöcher habe ich mir als Teenager selbst gestochen. Da war ich gerade 13. Zuerst habe ich das Ohr mit Eis gekühlt. Dann eine Nadel heiß gemacht - und durch.
Sie waren eben schon früh versessen auf Schmuck. Wie Ihre deutsche Kollegin, die berühmte Schmuck-Designerin Jette Joop, die auch ein Haus auf Ibiza hat. Kennt man sich auf so einer kleinen Insel?
Jagger: Nie gehört den Namen.
Was macht Jade Jagger eigentlich, wenn sie keinen Schmuck entwirft, mit Ketten behängt auf Ibiza herumläuft oder auf Partys Champagner trinkt?
Jagger: Ganz ehrlich? Sie liegt am liebsten im Bett.