http://www.fr-online.de/in_und…cnt=1284094&em_cnt_page=2
Stones-Film "Shine A Light"
Lichtgestalten
Regisseur Martin Scorsese hat sich einen Traum erfüllt: Einen Konzertfilm mit den Rolling Stones. Ein Blick hinter die Kulissen von "Shine A Light" - und ein Interview mit Keith Richards. Von Martin Scholz
Der Film ist eine Meisterprüfung der besonderen Art. Nichts weniger will uns schon der Werbetrailer verdeutlichen. Ein Telefon ist zu sehen, der Hörer ist bereits abgenommen, Mick Jagger, 64, ist dran - und ist gar nicht zufrieden. "Was mir bei den Kameras Sorgen macht, Marty - die sausen ja ständig herum und stören das Publikum und alle auf der Bühne", knarzt seine Stimme aus dem Lautsprecher.
Marty - das ist Star-Regisseur Martin Scorsese, 65, den sehen wir nun auch - mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht. "Gut wäre eine Kamera, die so hineinstößt - so rein und raus", stammelt er und wirkt dabei wie ein Protokollchef, dem der König gerade verkündet hat, dass er zwar Fischen gehen möchte, aber Angeln nicht ausstehen kann. So sieht das also aus, wenn einer der großen Meister des amerikanischen Kinos mit dem größten Zampano unter den Rock-Sängern darüber diskutiert, wie man einen Film über die Rolling Stones dreht.
Schon wieder ein Stones-Film, könnte man an dieser Stelle hinzufügen. Es gibt ja schon etliche, darunter einige von namhaften Regisseuren: "Gimme Shelter" von Adam und Albert Maysles beispielsweise, "Sympathy for the devil" von Jean Luc Godard oder "Rocks off" von "Harold and Maude"-Regisseur Hal Ashby. Dann wären da noch Konzert-DVDs und Dokumentationen wie "Rock 'n' Roll Circus", "The Stones in the Park", "Just for the Record", "Live at the Max", "Bridges To Babylon", "Forty Flicks" (vier DVDs mit drei Konzerten), und gerade erst im vergangenen Jahr kam "The Biggest Bang" dazu (vier DVDs mit Konzerten aus Rio, Argentinien, China und Texas).
Die Rolling Stones haben wie keine andere Band ihre Tourneen im Film-Format kommerziell ausgeschlachtet. Und dabei wurden die Konzert-Mitschnitte oft mit dem obligatorischen Bonus-Material angereichert, für das sich die Musiker in Garderoben, Proberäumen, im Plausch mit Kollegen und sonst wo filmen ließen. Egal wo und wie: Die Kameras waren immer dabei.
Insofern ist es wohl Koketterie oder einer seiner legendären Launen zuzuschreiben, wenn sich nun ausgerechnet der Narziss Mick Jagger über zu viele Kameras beschwert. Am Ende hat er den Regisseur dann doch gewähren lassen: 17 Kameras brachte Scorsese in Position, als er im Oktober und November 2006 zwei Konzerte der dienstältesten Rockband im New Yorker Beacon Theater filmte. Das Ergebnis, der Konzertmitschnitt "Shine A Light", hat heute mit großem Tamtam als Eröffnungsfilm der Berlinale Premiere.
Wir sehen Jaggers Bizeps, wenn er sich bei einem Duett mit Christina Aguilera an deren Diven-Pop reibt, wir sehen auch die verwischten Kajalstriche und die darunter liegenden Falten im Gesicht von Keith Richards, so nah, wie man ihm sonst selten kommt. Und dann, zwischen den Konzertszenen, blicken wir auf die jungen Stones zurück, staunen wir über diesen einst babygesichtigen Mick Jagger, der auf die Frage, wie lange er das noch machen will, antwortet: "Vielleicht noch zwei Jahre."
Der Londoner Observer ist voll des Lobes für "Shine A Light": Scorsese zeige vier Großväter in erstaunlicher Verfassung. "Selbst im direkten Vergleich mit den jungen, charismatischen Gesichtern ihrer Jugend, sehen die Stones immer noch cool aus." Roh, beseelt, wütend und zeitlos sei das, also kein x-beliebiger Konzertfilm.