Die Presse über Shine a Light

  • http://www.fr-online.de/in_und…cnt=1284094&em_cnt_page=2


    Stones-Film "Shine A Light"
    Lichtgestalten


    Regisseur Martin Scorsese hat sich einen Traum erfüllt: Einen Konzertfilm mit den Rolling Stones. Ein Blick hinter die Kulissen von "Shine A Light" - und ein Interview mit Keith Richards. Von Martin Scholz


    Der Film ist eine Meisterprüfung der besonderen Art. Nichts weniger will uns schon der Werbetrailer verdeutlichen. Ein Telefon ist zu sehen, der Hörer ist bereits abgenommen, Mick Jagger, 64, ist dran - und ist gar nicht zufrieden. "Was mir bei den Kameras Sorgen macht, Marty - die sausen ja ständig herum und stören das Publikum und alle auf der Bühne", knarzt seine Stimme aus dem Lautsprecher.


    Marty - das ist Star-Regisseur Martin Scorsese, 65, den sehen wir nun auch - mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht. "Gut wäre eine Kamera, die so hineinstößt - so rein und raus", stammelt er und wirkt dabei wie ein Protokollchef, dem der König gerade verkündet hat, dass er zwar Fischen gehen möchte, aber Angeln nicht ausstehen kann. So sieht das also aus, wenn einer der großen Meister des amerikanischen Kinos mit dem größten Zampano unter den Rock-Sängern darüber diskutiert, wie man einen Film über die Rolling Stones dreht.


    Schon wieder ein Stones-Film, könnte man an dieser Stelle hinzufügen. Es gibt ja schon etliche, darunter einige von namhaften Regisseuren: "Gimme Shelter" von Adam und Albert Maysles beispielsweise, "Sympathy for the devil" von Jean Luc Godard oder "Rocks off" von "Harold and Maude"-Regisseur Hal Ashby. Dann wären da noch Konzert-DVDs und Dokumentationen wie "Rock 'n' Roll Circus", "The Stones in the Park", "Just for the Record", "Live at the Max", "Bridges To Babylon", "Forty Flicks" (vier DVDs mit drei Konzerten), und gerade erst im vergangenen Jahr kam "The Biggest Bang" dazu (vier DVDs mit Konzerten aus Rio, Argentinien, China und Texas).


    Die Rolling Stones haben wie keine andere Band ihre Tourneen im Film-Format kommerziell ausgeschlachtet. Und dabei wurden die Konzert-Mitschnitte oft mit dem obligatorischen Bonus-Material angereichert, für das sich die Musiker in Garderoben, Proberäumen, im Plausch mit Kollegen und sonst wo filmen ließen. Egal wo und wie: Die Kameras waren immer dabei.


    Insofern ist es wohl Koketterie oder einer seiner legendären Launen zuzuschreiben, wenn sich nun ausgerechnet der Narziss Mick Jagger über zu viele Kameras beschwert. Am Ende hat er den Regisseur dann doch gewähren lassen: 17 Kameras brachte Scorsese in Position, als er im Oktober und November 2006 zwei Konzerte der dienstältesten Rockband im New Yorker Beacon Theater filmte. Das Ergebnis, der Konzertmitschnitt "Shine A Light", hat heute mit großem Tamtam als Eröffnungsfilm der Berlinale Premiere.


    Wir sehen Jaggers Bizeps, wenn er sich bei einem Duett mit Christina Aguilera an deren Diven-Pop reibt, wir sehen auch die verwischten Kajalstriche und die darunter liegenden Falten im Gesicht von Keith Richards, so nah, wie man ihm sonst selten kommt. Und dann, zwischen den Konzertszenen, blicken wir auf die jungen Stones zurück, staunen wir über diesen einst babygesichtigen Mick Jagger, der auf die Frage, wie lange er das noch machen will, antwortet: "Vielleicht noch zwei Jahre."


    Der Londoner Observer ist voll des Lobes für "Shine A Light": Scorsese zeige vier Großväter in erstaunlicher Verfassung. "Selbst im direkten Vergleich mit den jungen, charismatischen Gesichtern ihrer Jugend, sehen die Stones immer noch cool aus." Roh, beseelt, wütend und zeitlos sei das, also kein x-beliebiger Konzertfilm.

    Les Trois Tetons in Oberhausen - ich war dabei

  • Glaubt man Berichten über die Dreharbeiten von "Shine A Light", kam es zwischen Mick Jagger und Martin Scorsese zu ähnlichen Reibereien wie damals zwischen Berry und Richards. "Ich glaube, ich muss mich übergeben", soll Scorsese des öfteren geflucht haben, weil sich die Stones nicht an Absprachen hielten.
    Mittlerweile nehmen's die Beteiligten mit Humor - und sich selbst als zentrale Werbebotschaft. Immer wieder zeigt der Trailer Scorsese, wie er sich die Haare rauft, wie er fleht, jemand möge ihm endlich die Song-Liste für das Konzert geben, damit er die Kameras richtig positionieren könne. Mick Jagger grinst zu all dem nur teuflisch und sagt: "Wir werden Marty vielleicht eine Stunde vor der Show sagen, was los ist."


    Des Widerspenstigen Zähmung. Das kennt Scorsese noch von Jack Nicholson, der ihm mehrfach das Drehbuch zu "The Departed" umschrieb. Auf die Frage, wie denn die Zusammenarbeit mit den Stones verlief, antwortete der Meister-Regisseur auf die ihm eigene Weise sehr diplomatisch: "Ob sie kooperativ waren? Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten. Es kommt halt immer darauf an, wer es ist."

    Les Trois Tetons in Oberhausen - ich war dabei

  • Rückblende: Sommer 2007, wir sitzen in einem Fernsehstudio in Brüssel an einem Tisch mit Keith Richards, 64. Der probt mit den Rolling Stones für die anstehende Europa-Tournee - und redet auch über die Zusammenarbeit mit Martin Scorsese.


    Mr. Richards, es gibt zig Filme über die Stones, warum haben Sie jetzt noch einen mit Scorsese gemacht?
    Weil es mir Spaß macht, deshalb. Haben Sie nicht gerne Spaß?


    Schon. Aber ist über Ihre Band nicht schon alles gesagt, alles von ihr gezeigt worden?
    Jedes Konzert ist anders, es ist immer wieder ein Abenteuer, da rauszugehen und zu spielen.


    Es ist nicht langweilig, zum 1000. Mal "Satisfaction" zu spielen?
    Nein, die Songs werden mit einem älter, man entdeckt immer wieder neue Nuancen an ihnen. Es gibt immer noch diese Momente, in denen ich überwältigt bin, Momente, in denen Charlie und ich uns auf der Bühne ansehen, auf 80 000 johlende Menschen vor uns blicken und uns fragen: "Mensch, das kann doch alles nicht wahr sein." Glauben Sie mir, diesen Adrenalinkick, davon kann man nie genug bekommen, das wird man nie Leid. Und Martin Scorsese hat ein besonderes Gespür dafür. Am Anfang wollte er auch nur zwei Konzerte in einem Theater in New York filmen. "Mich interessiert nur das Live-Erlebnis", sagte er, "diese Backstage-Eindrücke interessieren mich überhaupt nicht." Prima, dachte ich, da haben wir hinter der Bühne wenigstens unsere Ruhe.


    Falsch gedacht.
    Stimmt. Als er dann mit seinen Kameraleuten im Theater erschien, sagte er plötzlich: "Ich will auch hinter der Bühne drehen." Das nennt man wohl eine Kehrtwende.


    Sie hätten es ihm ja verbieten können.
    Hey, er ist schließlich nicht irgendein Hollywood-Fuzzi, er ist Martin Scorsese. Was sollte ich da machen? Ich habe mich vertrauensvoll in seine Hände begeben.


    Die Filmbranche ist für Sie ja kein Neuland. Zuletzt sah man Sie als Piraten-Vater im dritten Teil von "Fluch der Karibik" neben Johnny Depp. Früher haben Sie mit Godard oder Taylor Hackford gearbeitet, der vor vier Jahren mit "Ray", einem Film über das Leben von Ray Charles. glänzte. Hackford hatte Sie Mitte der 80er als musikalischen Leiter für "Hail, Hail Rock 'n' Roll" verpflichtet, einen Konzertmitschnitt zum 60. Geburtstag der Blues-Legende Chuck Berry...
    ...erinnern Sie mich nicht daran, das war eine Tortur.


    Sie mussten Eric Clapton, Robert Cray - und vor allem Berry selbst dirigieren. War das denn so schlimm?
    Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin wahrscheinlich der größte Chuck-Berry-Fan dieses Planeten. Aber Chuck war wirklich ein harter Brocken, man kommt schwer mit ihm klar.


    In einer Szene schnauzt er Sie an, weil Sie ihm gerade zu erklären versucht haben, dass sein Verstärker nichts tauge. Warum haben Sie sich das gefallen lassen?
    Weil er Chuck Berry ist. Ich wusste ja vorher, worauf ich mich da einlasse. Ich hatte mir das gründlich überlegt und dann irgendwann gesagt: "Wenn ich diesen Film nicht mache, wird ihn ein anderer machen" - und dann hätte ich mir den Rest meines Lebens in den Hintern getreten. Ich konnte mir das einfach nicht entgehen lassen.


    Woher rührt Ihre Bewunderung für Chuck Berry?
    Chuck war für mich ein Rieseneinfluss. Ich liebe seine Platten. Es reizte mich, seine Musik noch einmal in einem anderen Rahmen, mit Könnern wie Clapton neu zu interpretieren. Berry war ja am Ende nur noch mit billigen Miet-Musikern aufgetreten. Der Sound bei seinen Konzerten war dementsprechend miserabel. Der Film gab mir die Gelegenheit seine Lieder noch einmal so zu arrangieren, dass ihre Kraft und Größe zum Ausdruck kommt. Und ich wusste, wenn ich mit Chuck Berry klar komme, kann mir auch sonst nichts mehr passieren. Er ist die schwierigste Person, mit der ich je gearbeitet habe - von Mick Jagger einmal abgesehen.


    Wie ist denn die Geschichte mit dem Verstärker ausgegangen?
    Ich habe ihn ausgetrickst. Während des Konzertes habe ich einen besseren Verstärker hingestellt und seine Gitarre heimlich daran angeschlossen. Er hat es nicht bemerkt.

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  • Berlinale-Chef Dieter Kosslick geht den Stones entgegen, lächelt, streckt die Hand aus.


    Dieter Kosslick (in seltsamem Englisch): "Pleased to meet you, hope you guess my name!"


    Mick Jagger (wischt seine Hand an der Hose ab, murmelt): "Sticky fingers."


    Keith Richards (verwirrt): "Are you Knut?" (tätschelt Kosslick den Anzugrücken).


    Im Publikum entsteht Unruhe, eine Stones-Coverband aus Ostberlin hat sich nach vorne gedrängt und beginnt, mit Gitarre und Schellenkranz eine schauderhafte Version von "Satisfaction" zu spielen. Keith Richards hopst luftgitarrespielend über den roten Teppich. Mick Jagger signiert Platten und Rolling-Stones-Zungen-Shirts mit einem Edding. Als er versucht, Scarlett Johanssons Dekolleté zu signieren, pfeffert sie ihm eine mit der Handtasche. Kosslick läuft hin und her, unschlüssig, wen er beschützen soll.


    In diesem Moment fängt die Gruppe der jungen Anzugträger an, laut "Angie, Angie!" zu grölen. Als sie ein Angela-Merkel-Plakat entfalten wollen, kommt es zu einem Handgemenge mit den Altrockern und den Bush-Gegnern. Die Junge Union wird zurückgedrängt und taumelt in die Ost-Coverband. Gitarren gehen zu Bruch; die Ostband, die Altrocker, die Bush-Gegner und die Junge Union verkeilen sich ineinander. Scarlett Johansson nutzt den Tumult, um Mick Jagger noch eine Ohrfeige zu geben.


    Martin Scorsese (kommt mit einer Handkamera, schreit): "Shine your light!"


    Scorsese wird in die Rauferei hineingezogen. Die Absperrung bricht, die entfesselte Menge ergießt sich über den roten Teppich. Mehrere Polizeiwannen fahren vor. Die Beamten greifen 20 Herren in Lederjacke und schieben sie in die Autos. Unter ihnen Mick Jagger.


    Mick Jagger (windet sich im Griff eines dicken Polizisten): "Let me go, Im Mick Jagger!"


    Polizist: "Dit sagense alle. Einsteigen, Großmaul!"


    Jagger ab. Keith Richards klettert in Panik auf einen Baum und droht zu fallen.


    Charlie Watts (stöhnt): "Scheiße, nicht schon wieder!"


    Die Menge hat sich zum Filmpalast vorgearbeitet und zerlegt unter "Rolling Bones!"-Rufen die Glasscheiben. Ein Wasserwerfer fährt vor, durchnässt den roten Teppich und Dieter Kosslick. Kosslick taumelt zum Hauptschalter und knipst das Licht aus. Der Potsdamer Platz liegt im Dunklen. Die Berlinale-Eröffnung samt Screening der Stones-Doku von Scorsese fällt aus.


    DRITTE SZENE


    Nachts, im Hotelzimmer. Keith Richards liegt im Schlafanzug auf dem Bett und wackelt mit den Zehen.


    Mick Jagger (kommt aus dem Polizeigewahrsam zurück, knurrt): "Frag nicht!"


    Keith Richards steht auf und gießt ihm einen Whiskey ein. Gemeinsam stehen sie am Fenster und betrachten das Brandenburger Tor.


    Mick Jagger (murmelt): "Scheiße, Keith. Wir sind einfach zu alt für diese Stadt!"


    VORAUSGESAGT VON NINA APIN UND ANTJE LANG-LENDORFF

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  • http://www.taz.de/1/archiv/dos…/?src=SZ&cHash=4ed1939c8b (Vorsicht Schnelleser, das soll Comedy sein)


    Die Stones bei der Berlinale-Eröffnung
    Alarm auf dem roten Teppich


    Früher zerlegten die Rolling Stones-Fans die Waldbühne. Und wie endet der Berlinale-Auftritt heute? Die taz hat einen Blick in das inoffizielle Drehbuch geworfen.


    Die Rock-Opis sind wieder in der Stadt: Steinzeitstimmung auf der Berlinale. Foto: AP


    ERSTE SZENE


    Eine Suite im Hotel Adlon, abends. Keith Richards liegt auf einem King-Size-Bett, Charlie Watts und Ron Wood kleiden sich für die Berlinale-Eröffnung an. Mick Jagger, in knallengen Lederhosen und weißem Hemd, steht am Fenster.


    Keith Richards (schnupft weißes Pulver aus einem Döschen und verzieht angewidert das Gesicht): "Was für ein Stoff! Der alte war besser."


    Mick Jagger (blickt träumerisch aufs Brandenburger Tor): "Wir sind in Berlin, stimmts?"


    Charlie Watts (geht ächzend in die Hocke, um Ron Wood die Schuhe zu binden): "Ja, Mann."


    Keith Richards (setzt sich ruckartig auf, springt aufs Bett und spielt Luftgitarre): "Geil, Berlin! Haben wir da nicht mal ne ganze Bühne zerlegt?"


    Mick Jagger (fixiert weiter das Brandenburger Tor): "Nein, das waren die Zuschauer. Weil wir gerade mal 25 Minuten gespielt haben. Aber das war vor über 40 Jahren. Irgendwo im Westen, auf so ner Nazi-Bühne. Furchtbare Fans. (Pause) Wo ist hier eigentlich die Grenze?"


    Keith Richards (hält inne und massiert sich die Hüfte): "Wenigstens hat man uns hier nicht vergessen."


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    Es klopft.


    Page (respektvoll): "Meine Herren, Ihre Limousinen sind da!"


    Die vier schalten ihre Hörgeräte aus und verlassen das Hotelzimmer.


    ZWEITE SZENE


    Am Potsdamer Platz. Am roten Teppich hat sich eine dichte Menge versammelt, die schon seit Stunden wartet. Altrocker mit grauen Haaren drängeln sich neben Mittzwanzigern, die "Fuck Bush"-Plakate in die Höhe halten. Vereinzelt sind Original-70er-Jahre Lederjacken zu sehen. Etwas abseits steht eine Gruppe ordentlich gescheitelter Anzugträger mit "Junge Union"-Ansteckern.


    Die Stones schreiten langsam über den roten Teppich und werden dabei von Madonna, Scarlett Johansson und Elmar Wepper überholt. Jagger schielt auf Johanssons Brüste und rempelt dabei Keith Richards an, der Penelope Cruz aufs Kleid tritt.


    Penelope Cruz (sauer): "Hey you, get off of my Kleid!

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    Andere große Stones-Dokumentationen
    Das Rendezvous mit den Teufeln
    Von Andreas Platthaus


    06. Februar 2008 Martin Scorseses „Shine a Light“, der heute Abend die Berlinale eröffnet, lässt sich auf einen großen Wettstreit ein. Nicht im Festival-Wettbewerb - er läuft dort außer Konkurrenz -, aber im Vergleich mit den anderen Dokumentationen, die es sonst noch über die Rolling Stones gibt. Angesichts von 46 Jahren Band-Geschichte kann man sich deren Zahl ausmalen, aber darunter finden sich mindestens zwei Perlen: „Gimme Shelter“ von den Brüdern Maysles und Charlotte Zwerin sowie „One Plus One“ von Jean-Luc Godard.


    Beide entstanden am Ende der sechziger Jahre, in der produktivsten Zeit der Stones und zugleich ihrer schwierigsten Phase. Zwischen beiden Dokumentationen liegt der Tod des Gründungsgitarristen Brian Jones, der die Band gerade verlassen hatte, als er im Juli 1969 in seinem Swimmingpool ertrank. Sein Nachfolger, Mick Taylor, war schon ausgesucht, und zwei Tage später, am 5. Juli, gaben die Stones im Londoner Hyde Park das erste der drei großen Rock-Gratiskonzerte des Jahres 1969 (das zweite sollte Woodstock werden, das dritte Altamont). Darüber haben Jo Durden-Smith und Leslie Woodhead die leider viel zu kurze Dokumentation „The Stones in the Park“ gedreht, in der man noch einmal die Unschuld jener Zeit vorgeführt bekommt, obwohl das Konzert in einer fast viertelstundenlangen Version von „Sympathy for the Devil“ gipfelte.


    Nur anderthalb Meter über den Fans


    Dieses Lied ist der geheime Kern aller bedeutenden Rolling-Stones-Dokumentationen. Im Hyde Park ließen drei tapsige Roadies dazu aus Pappkartons einige Tausende Schmetterlinge frei, die dann über die Bühne irrten. Das war schon der Höhepunkt der Bühnenshow. Auf dreihunderttausend Zuhörer wird das Publikum geschätzt, und die vorderen Reihen standen direkt vor der vielleicht halbmeterhohen Bühne. Was für ein Unterschied zum stockwerkhohen Bühnenrand auf der bislang letzten Tournee der Stones, die seit vergangenem Jahr auf der Vierfach-DVD „The Biggest Bang“ dokumentiert ist. Da sind die Musiker unerreichbar, und hinter ihnen türmt sich eine mietshausgroße Kulisse, die auf dem Höhepunkt der Show, natürlich zu „Sympathy for the Devil“, zu explodieren scheint. Schmetterlinge müssten hier das Ausmaß von Adlern haben, um noch gesehen zu werden. Als nach einem der Konzerte doch einmal einige Fans auf die Bühne gelangen, sieht man dem Gitarristen Ron Wood den Schreck darüber an.


    Es ist, fast vierzig Jahre später, immer noch der Schreck von Altamont am 6. Dezember 1969, obwohl Wood da noch gar nicht dabei war. Die Hells Angels, die sich dort als Sicherheitsdienst gerierten, waren auch schon im Hyde Park aktiv gewesen, martialisch mit Hakenkreuzen und Nieten drapiert, aber vollkommen friedlich. In Kalifornien prügelten sie aufs Publikum ein und erstachen einen Schwarzen, der mit einer Pistole herumfuchtelte. Selbst die Bühne hatten sie erobert: Es gibt eine faszinierende Aufnahme in „Gimme Shelter“, dem Film, der die letzten zehn Tage der damaligen Amerika-Tournee dokumentiert, in der man vorne angeschnitten Mick Jagger tanzen sieht, doch die Kamera fokussiert auf einen Hells Angel, der dem Sänger dabei vollkommen unbewegt zusieht - gebündelte Gewalt.


    Man wollte Woodstock übertreffen


    „Gimme Shelter“ lebt vom Wissen um das, was in Altamont geschah. Die Szenen, in denen sich die Stones selbst die Aufnahmen ansehen und die eigene Hilflosigkeit kaum ertragen können, gehören zum ewigen Bilderschatz des Kinos - und zu seinen eindrucksvollsten Selbstanklagen. Denn ohne die Dokumentation hätte das berüchtigte Konzert wohl gar nicht stattgefunden. Man wollte Woodstock übertreffen, wie Woodstock Hyde Park übertroffen hatte, und dazu gehörte ein ordentlicher Konzertfilm. „Gimme Shelter“ aber wurde viel mehr: der bislang beste Film über die Rolling Stones.

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  • Den strebte Jean-Luc Godard gar nicht an. Ihm war es ein Jahr zuvor egal gewesen, ob nun die Beatles oder die Rolling Stones zusagen würden, aber ohne eine Band dieser Kategorie hätte er sich nicht bereit erklärt, 1968 seinen ersten britischen Film zu drehen: „One Plus One“. Beide Gruppen waren damals im Studio. Die Beatles nahmen das „Weiße Album“ auf, doch das taten sie so eigenbrötlerisch und voneinander isoliert, dass sich der Toningenieur noch heute mit Grausen daran erinnert. Godard aber, dem ein Filmessay über den Gegensatz zwischen Erschaffen und Zerstören vorschwebte, zwischen der Entstehung eines Kunstwerks und dem Zusammenbruch der Gesellschaft, brauchte eine kreative Künstlertruppe. Das waren die Rolling Stones allemal. Sie waren dabei, das Album „Beggars Banquet“ aufzunehmen, und sie entwickelten ihre Ideen dazu im Studio weiter.


    Godards cineastischer Molotowcocktail


    Das Paradestück auf „Beggars Banquet“ ist „Sympathy for the Devil“ - nach Meinung von Eddie Vedder, dem Kopf von Pearl Jam, der beste Rocksong, der jemals geschrieben wurde. Dem trägt der instinktsichere Godard Rechnung: Der halbe Film widmet sich allein den Aufnahmesessions zu diesem Lied, und es ist faszinierend zuzuhören, wie aus einem beinahe schleppenden Blues das aufgeheizte polyrhythmische Kunstwerk wird, das heute jeder kennt. Den Bruch markiert ein Schnitt fast genau in der Mitte des Films - als Ausweis der unabbildbaren Genialität. Plötzlich ist die Orgel nicht mehr da, und stattdessen geben Congas den Ton an; selbst Mick Jagger hat jetzt eine kleine Handtrommel zwischen den Knien.


    „One Plus One“ ist ein Unikum: einerseits die subtilste Dokumentation über das, was den Rang der Stones ausmacht (ihre Improvisationsfreude und unerschöpfliche Kenntnis von Rock und Blues), und zugleich ein cineastischer Molotowcocktail, denn die andere Hälfte des Films ist eine in Bilder gefasste politische Improvisation über sämtliche drängenden revolutionären Fragen. Und 1968 drängte da so einiges; Godard verlor über sein politisches Engagement für die Studenten oder die Black Panthers die Stones beinahe aus dem Auge. Schon die erste Einstellung rückt nicht die Band, sondern das kunstvoll ausgestattete Studio in den Mittelpunkt: mittels pastellen eingefärbter Trennwände ist eine Art Barackenstadt eingebaut, und immer wieder umkreist die Kamera diesen faszinierend verwinkelten Ort - in jener Bewegung, mit der am Ende auch der Kamerakran umtanzt wird, der die Leiche einer am Strand erschossenen Revolutionärin in den Himmel hebt.


    Scorsese kann sich also einiges einbilden


    Damit wollte Godard den Film abrupt enden lassen, doch der englische Produzent Michael Pearson fror das Bild ein, legte die endgültige Fassung von „Sympathy for the Devil“ als Tonspur darüber und strich gleich auch noch den Filmtitel „One Plus One“. Fortan hieß auch Godards Werk „Sympathy for the Devil“. Der Regisseur war empört und ohrfeigte bei der Premiere Pearson öffentlich.


    Die Stones waren ihrerseits mit Godard unzufrieden, und künftig suchten sie sich ihre Dokumentaristen sorgfältig aus. Martin Scorsese kann sich also einiges darauf einbilden, die Zusage für „Shine a Light“ bekommen zu haben. Aber er hatte seine eigenen Bedingungen: Das angebotene Mammutkonzert vor anderthalb Millionen Besuchern an der Copacabana lehnte er ab (dieser Abend findet sich nun auf „The Biggest Bang“), stattdessen filmte er die Band im kleinen Konzertsaal „Beacon Theatre“ - einer Bühne, wie die Stones sie zur Einstimmung auf ihre Tourneen lieben. Der Berlinale-Palast dürfte heute Abend etlichen Zuschauern mehr Platz bieten - und der Platz davor noch vielen zusätzlich. Sie freuen sich auf die Stones und auf Scorsese und auf einen Film, der es schwer haben wird gegen seine Vorläufer. Möge der liebe Gott Scorsese erleuchtet haben.


    „Sympathy for the Devil“ gibt es bei Warner auf DVD, „The Biggest Bang“ bei Universal Music und „Gimme Shelter“ in der Criterion Collection.


    Text: F.A.Z., 07.02.2008, Nr. 32 / Seite B2
    Bildmaterial: CINETEXT

    Les Trois Tetons in Oberhausen - ich war dabei

  • Sie arbeiten schon an dem nächsten Musikfilm: über George Harrison.


    Auch das ist wieder etwas Neues. Mich interessiert hier ein Mensch, der mit sich selbst gekämpft hat, der seinen inneren Frieden gesucht hat. Er hat meditiert - ich habe da selbst wenig Ahnung von, aber dieses Spirituelle interessiert mich. Harrison hatte eine dunklere Seite, das merkt man, wenn man ihm zuhört. Das ist eine großartige Story - wenn ich sie finde! Wir haben ganz viel Material. Das wird einige Jahre dauern.


    Auch für Ihre eigenen Filme ist Musik sehr wichtig. Können Sie etwas über Ihren Umgang mit Musik verraten?


    Ich verwende die Musik, die ich fortwährend höre. Musik begleitet mich mein Leben lang. Musik schafft in mir eine Atmosphäre, eine bestimmte Stimmung, die sehr leicht in filmische Bilder übersetzbar ist. Wenn ich an einem Film arbeite, wähle ich Musik aus und höre sie immer wieder. Normalerweise ziehe ich mich zunächst für fünf, sechs Tage zurück, in ein Hotelzimmer zum Beispiel, und verbringe Zeit allein mit dem Script und mit verschiedener Musik. Ich probiere dann aus, was passiert, welche Musik welche Bilder inspiriert. Ich zeichne dann Bilder. Manchmal nehme ich dann auch Musik zum Drehort mit, damit die Kamerabewegungen mit der Musik korrespondieren.


    Unterschiedliche Musik inspiriert unterschiedliche Ideen. In gewissem Sinn arbeite ich mit Schauspielern ähnlich. Ich habe keine Ahnung von Schauspielstilen und -schulen. Jeder ist aus meiner Sicht anders. Ich versuche für die Schauspieler eine Atmosphäre zu schaffen, die Freiheit schafft, einen Raum kreiert. Das bedeutet nicht, dass sie dann machen können, was sie wollen. Es ist ein evolutionärer Prozess, und da hilft mir die Musik sehr.


    Vor einem Jahr haben Sie endlich einen Regie-Oscar bekommen, für „The Departed“, also ausgerechnet für das Remake eines Hongkong-Thrillers. Es war ja höchste Zeit. Was waren die Folgen? Hat der Gewinn Ihre eigene Einstellung zu Ihrer Arbeit verändert?


    Der Oscar war schön. Es geht nicht darum, ob er früh oder spät kommt, wichtig ist, dass man ihn irgendwann bekommt. Ich wollte immer den Oscar, das stimmt. Als ich für „Taxi Driver“ noch nicht einmal nominiert war, war ich schwer enttäuscht. Im Rückblick aber kann ich sagen, dass es mir gutgetan hat, denn ich habe es zunehmend aufgegeben, mich auf die Preise zu konzentrieren. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Mitte der neunziger Jahre begannen andere Leute zu bemerken, dass ich noch immer keinen Oscar hatte. Sie schrieben darüber, das war schmeichelhaft. Aber dann wurde es zu viel, und alles wurde politisch.


    Wie es dazu kam, dass ich den Oscar nun gerade für „The Departed“ bekam, weiß ich nicht. Ich hatte keinen Werbefeldzug geführt. Der Film forderte mich derart auf einem Gebiet, von dem ich dachte, etwas zu verstehen, ich hatte wirklich andere Dinge im Kopf. Vielleicht war es eine Frage des Timings.


    Zu „The Departed“: Sie sagen, es sei ein Remake. Ich sehe es als eine andere Version. Aber vielleicht ist das eine Frage der Semantik. Die meisten amerikanischen Western sind in diesem Sinne Remakes von anderen Western.


    Was ist Ihnen als Regisseur im Laufe Ihrer Karriere am schwersten gefallen?


    Züge und Boote sind das Allerschwerste. Denn ein Boot bewegt sich und bewegt sich und bewegt sich. Züge sind groß, und wenn sie einmal vorbeigefahren sind und man das Ganze wiederholen möchte, muss man sie den ganzen Weg wieder zurückschaffen. Letzteres weiß ich seit meinem ersten Film „Boxcar Bertha“, eine Art Exploitation-Film, den ich für das Studio von Roger Corman gedreht habe. Grundsätzlich habe ich damals eines von Corman gelernt: Man soll immer die schwierigsten Szenen als Erstes drehen. Dann hat man es hinter sich. Richtige Exploitation-Filme macht man ja heute gar nicht mehr. Aber die Produktionstechniken des Exploitation-Films haben mir für alle meine späteren Filme sehr genutzt.

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    Martin Scorsese im Interview
    Meine Nächte mit Mick


    07. Februar 2008 „Warum besorgen wir uns nicht die besten Kameraleute und machen uns einen Riesenspaß“, fragte Martin Scorsese die Rolling Stones. Daraus wurde „Shine a Light“. Außerdem erzählt er, warum der diesjährige Ehrenbärträger Francesco Rosi für ihn einer der wichtigsten Filmemacher überhaupt ist.


    Mr. Scorsese, Ihre Musikdokumentation „Shine a Light“ eröffnet die Berlinale. Warum wollten Sie ausgerechnet einen Film über die Rolling Stones machen?


    Ich liebe Dokumentationen. Das hält mich frisch, glaube ich. Die Rolling Stones sind die meistdokumentierte Rockgruppe der Geschichte. Sie haben schon alles gemacht, wirklich alles, auch vor der Kamera. Was sie aber eigentlich tun und was sie auch tun sollten, ist aufzutreten. Darum wollte ich die beste Performance bekommen, die wir kriegen können. Ich arbeitete damals mit Mick Jagger an einem Projekt über die Geschichte der Musikbranche. Wir haben uns über verschiedene Formen von Auftritten unterhalten - und ich habe ihm gesagt: Ich muss einfach einen Performance-Film von euch machen. Mick schlug das nächste Konzert vor, das sie sowieso geplant hatten, in Rio de Janeiro. Eine Million Leute im Stadion vor der Bühne - phantastisch! Aber dann habe ich mir diese Gigantomanie durch den Kopf gehen lassen und dachte: Warum machen wir nicht etwas Intimeres? Einen kleineren Ort wie das „Beacon Theatre“ in New York, besorgen uns die besten Kameramänner der Welt, überwacht und gelenkt vom Kameramann Robert Richardson - und machen ein spezielles Konzert über zwei Nächte. Die Stones haben zugestimmt. Und so landeten wir bei einem Konzert-Film.


    Es war ein großer Spaß, diesen Film zu machen. Auch einfach ihn anzugucken: es ist ein Zwei-Stunden-Film, es gibt vielleicht einen zehnminütigen Abschnitt am Beginn, das ist eine Art Dokumentation mit Zitaten hintereinander. Aber sonst ist es kein klassischer Dokumentarfilm - es ist ein Konzert.


    Ähnlich wie „The Last Waltz“?


    Nein, die Geschichte ist anders. Die Geschichte ist der Auftritt. Ihre Gesichter sind die Geschichte. Die Beziehungen, die sie untereinander auf der Bühne haben. Wie sie einander ansehen. Nur ein kleines bisschen Dokumentarmaterial ihrer Auftritte über die Jahrzehnte.


    In „The Last Waltz“ schneiden Sie nie zum Publikum, wie man das in den meisten Musikfilmen sieht, um die Begeisterung der Zuhörer zu transportieren.


    Ja, das ist die „Woodstock“-Methode. Michael Wadleighs Film über das legendäre Konzert dauert drei Stunden, davon sieht man eineinhalb Stunden das Publikum. In diesem Fall waren diese dokumentarischen Passagen sehr wichtig. Wussten Sie, dass ich damals bei „Woodstock“ mitgearbeitet habe, auch am Schnitt? Das war eine extrem außergewöhnliche Erfahrung.


    In „The Last Waltz“ habe ich mich mehr an Bert Sterns „Jazz on a Summer's Day“ orientiert über das Newport Jazz Festival von 1958. Das ist für mich der beste Musikfilm, der je gemacht wurde. Was mich daran so beeindruckt hat: Die Kamera hält das Bild und bleibt drauf. So vermittelt sich eine ganz andere Spannung. Diesen Ansatz - das Gegenteil von „Woodstock“, der auch in den Konzertszenen sehr oft schneidet und verschiedene Perspektiven einnimmt - haben wir auch auf „Shine a Light“ übertragen.


    Wie war die Arbeit mit den Stones?


    Man muss bereit sein. Ich hatte gerade den Film „The Departed“ fertiggestellt, ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht, ob ich die allerletzte komplette Fassung überhaupt noch gesehen habe, weil ich so viel mit dem neuen Film zu tun hatte. Denn die Stones waren auf Tour und hatten nur eine begrenzte Menge Zeit. Die sind dann in bestimmten Städten nur ein paar Stunden zusammen. Meine ganze Energie ging darein, das alles fertigzubekommen.

    Les Trois Tetons in Oberhausen - ich war dabei