Deutschland: Nur der Titel zählt
Bundestrainer Joachim Löw will bei der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz groß zuschlagen und damit eine deutsche Tradition erneuern. Vom ersten Titelgewinn 1972 bis zum bislang dritten und letzten 1996 drückte die deutsche Nationalmannschaft über mehr als zwei Jahrzehnte beinahe allen EM-Endrunden ihren Stempel auf. Neben den drei Triumphen 1972, 1980 und 1996 gab es 1976 und 1992 noch zwei weitere Endspiel-Teilnahmen. Doch seit dem "Golden Goal" von Oliver Bierhoff zum 2:1 im EM-Finale 1996 in London gegen Tschechien ist die Erfolgsstory beendet - zwei bittere Vorrunden-Pleiten unter Erich Ribbeck 2000 in Belgien und den Niederlanden sowie Rudi Völler 2004 in Portugal stehen seitdem zu Buche. Im Rückblick auf die jüngere Misserfolgs-Bilanz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hatte auch Löw unmittelbar nach der Auslosung der Vorrunden-Gruppen vor voreiligem Optimismus gewarnt. "Seit zwölf Jahren haben wir kein Spiel mehr bei einer EM gewonnen. Wir wissen, welch schlechte Erfahrungen wir 2000 und 2004 gemacht haben", sagte der Bundestrainer nach der Auslosungs-Zeremonie Anfang Dezember 2007 in Luzern, die er trotzdem mit einem guten Gefühl verlassen hatte: Die Gruppen-Gegner Polen, Kroatien und Österreich eröffnen "gute Chance, dass wir die nächste Runde erreichen", kommentierte Löw.
Seit der Auslosung arbeitet der DFB-Cheftrainer mit seinem Betreuerstab akribisch an einem "Masterplan", der am 29. Juni in Wien mit dem vierten EM-Titelgewinn in Erfüllung gehen soll. "Wir können nicht versprechen, dass wir Europameister werden", erklärte Löw: "Aber wir können versprechen, dass wir uns europameisterlich vorbereiten." Im Trainingslager auf Mallorca soll der EM-Schliff erfolgen, während des Turniers logiert der DFB-Tross in der Schweiz am Lago Maggiore im Tessin.
Zwei Jahre nach dem dritten Platz bei der Heim-WM 2006 soll das unter Jürgen Klinsmann stark verjüngte und auf offensiven Tempo-Fußball ausgerichtete DFB-Team in den beiden Alpen-Republiken zum Gipfelsturm ansetzen. Allerdings sieht Kapitän Michael Ballack die von ihm angeführte Mannschaft, die sich als erste neben den gesetzten Gastgeber-Nationen für die EURO 2008 qualifizieren konnte, nicht in der Rolle des Titelanwärters Nummer 1: "Wir sind noch nicht auf dem Niveau, Favorit zu sein", sagte der England-Legionär.
Weltmeister Italien, Vize-Weltmeister Frankreich, WM-Halbfinalist Portugal oder auch Geheimfavoriten wie Kroatien oder Spanien werden ebenfalls hoch gehandelt. "Eine EM ist vielleicht sogar schwieriger als eine WM", meinte Löw angesichts der Leistungsdichte in Europa.
Der Weg zum ersten EM-Ernstfall gegen Polen am 8. Juni in Klagenfurt war und ist für Löw kein leichter: Die ewige Torhüter- Diskussion um Jens Lehmann, Verletzungen wichtiger Leistungsträger wie Ballack, Frings oder Metzelder und dazu die Krisen der gefeierten WM-Jungstars wie Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski waren ein ständiger Begleiter. Dazu kommt, dass die WM-Magie von 2006 fehlt. "Die WM war für alle ein Fixpunkt, die EM fällt dagegen ein bisschen runter", beklagte Teammanager Oliver Bierhoff.
Mit der EM-Rekordprämie von 250 000 Euro, die jedem der 23 deutschen Akteure im Falle des Titelgewinns winkt, hat der DFB immerhin einen Anreiz gesetzt, der fast die WM-Dimension erreicht; 300 000 Euro hätte es 2006 für einen Weltmeisterschafts-Triumph gegeben. Den bitteren Erinnerungen an die EM-Turniere 2000 und 2004 wurde aber auch bei den Prämien Rechnung getragen: "Geld gibt es erst, wenn die Vorrunde überstanden ist", hob Bierhoff hervor.