Leise, aber lauter werdend, wurde das Intro abgespielt, ein rhythmisches Schlagzeugintro. Und plötzlich schossen die Rolling Stones auf die Bühne. Keith Richards preschte als erstes einige Schritte nach vorn und schlug zielsicher die Anfangsakkorde von Brown Sugar an, dicht hinter ihm bestieg Charlie Watts seinen Schemel und plötzlich stand auch Ron Wood auf der Bühne, noch einige Späßchen machend bevor sein Einsatz nahte. Die Menge johlte, die Anfangspassage des Songs näherte sich bereits dem Ende und nebenbei baute sich die riesige (wirklich riesengroße und mehrfach teilbare) Leinwand wie von Geisterhand auf. Mick Jagger tänzelte als letztes ins Rampenlicht und stieg mit der ersten Strophe gleich lautstark ein. Viele verschiedene Songs hatten die Stones ausgewählt, um ein Konzert zu beginnen; und auch mit diesem Klassiker konnten sie nichts falsch machen. Die stark vorgetragene Version - natürlich mit dem Saxophonsolo von Bobby Keyes und dem vom Publikum bereits ungeduldig erwarteten Yeah-Yeah-Yeah-Whoo-Teil zum Mitsingen - war der Startschuß für die Show.
Es folgten kurze, bündige Rocknummern: You Got Me Rocking aus dem 1994er Voodoo Lounge-Album, wurde ebenfalls dankbar aufgenommen; Ronnie spielte das zweite Solo, war aber etwas unkonzentriert. Nach Micks Begrüßung "Hallo Oberhausen! Seid Ihr bereit, Eure Ärsche zu bewegen? All right." übte Keith grinsend noch ein wenig, wie das Riff von Start Me Up nochmal ging. Der Song rockte wie immer, weil dessen Zutaten so unwiderstehlich sind: Ein geiles Riff von Keith, ein einfacher Refrain von Mick, ein fetziges Solo von Ronnie und natürlich der Beat von Charlie. Anschließend erklärte Mick "Das ist ein äh... neue Lied. This one's called Don't Stop!" Und obwohl der Song eigentlich unscheinbar ist, kam auch hier wieder die tolle Liveatmosphäre zum Vorschein, die Zuschauer stimmten wie so oft in den Chor ein. Mick war unglaublich in Form und bei Stimme! Unnachahmlich mimte er den Frontmann mit vielen spitzen Schreien und reichlich Palaver auf Englisch und Deutsch: "Are you feeling good? Are you feeling good!? Say oh yes! Oh Yeah!" Die Pausen zwischen den Songs waren erstaunlich kurz. Ebenso grandios Charlies Spiel: Von einem 62-jährigen Jazzliebhaber muß man nicht unbedingt erwarten, daß er den Beat so energisch nach vorne treibt. Toll.
Bitch ist einer meiner Favoriten aus den Mick Taylor-Tagen und das Riff verfehlte auch heute seine Wirkung nicht. Leider waren die Bläser zu laut und Keiths Gibson kaum zu hören. Trotzdem gute Version. "Wir spielen etwas langsamer, ja?" lautete die Ankündigung von Angie. Die Feuerzeug-Schnulze mit akustischen Gitarren hat natürlich viele Anhänger im textsicheren Publikum. "Thank you! Wie geht's? Do you feel like singing a little bit tonight?" You Can't Always Get What You Want war in den letzten Jahren immer langsamer und ruhiger geworden. Doch die reichlichen Möglichkeiten, den Text in den Abendhimmel zu singen und zu schreien, waren immer wieder schön. "Ihr seid ein geiles Publikum." war der verdiente Lohn.
"We're gonna do a little Blues for ya now." Nanu, dachte ich. Den hatte ich erst auf der kleinen Bühne erwartet. Was würde kommen? Little Red Rooster, Mannish Boy oder vielleicht... Rock Me Baby! Na sowas! Den haben sie doch in Sydney gespielt bei dem Klubkonzert (das Internet macht es heutzutage möglich von Konzerten zu lesen, die wenige Stunden zuvor auf der anderen Seite des Erdballs stattfanden). Rock Me Baby, wunderbar. Und plötzlich standen zwei Leute mehr auf der Bühne. Ein Zwerg mit vergleichsweise riesiger Gitarre und ein weiterer Kerl direkt neben dem Schlagzeug. Angus und Malcolm, geduscht und in frischen T-Shirts (Angus im T-Shirt!) jammten mit den Stones. Mick röhrte seinen Gesang kraftvoll wie eh und je, die Gitarren groovten herrlich mit Soli von Angus, Keith und Ron, mit später einsetzenden Bläsern und jeder Menge Fun. Wahnsinn! Einfach Wahnsinn. Der Song trieb swingend fünf, sechs, sieben, vielleicht acht Minuten vor sich hin und hätte ruhig ewig so weiter gehen können. Rock me Baby, rock me all night long. Gegen Ende des Liedes sprang Angus wie ein Irrwisch auf Charlies Schlagzeug zu wie bei einem AC/DC-Auftritt. Ich konnte leider Charlies Gesicht nicht sehen, doch auch er wird es genossen haben!