Ein hoch dem Vinyl

  • NEWS - Ode an die Rille



    15.06.2008




    Sonntag 15. Juni 2008, 11:37 Uhr --
    Berlin (dpa) - Wahre Liebe schert sich nicht um Argumente. Was hier zählt ist Gefühl. «Es ist dieses Ritual des Auflegens, das Saubermachen und sehen zu können, wie sich die Platte dreht, was die Vinyl-Platte zu etwas Besonderem macht», sagt Helge Palm.


    Regelmäßig kommt der 52-Jährige in den kleinen Plattenladen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Wenn er die Wahl hat zwischen CD und LP, kauft er die Schallplatte. An der Ladentheke ist der Kampf zwischen der großen Schwarzen und dem kleinen Silberling längst entschieden. Die CD hat gewonnen und kämpft inzwischen selbst gegen neue digitale Speicher. Aber die alte Schallplatte aus Vinyl verteidigt auch 60 Jahre nach ihrer Erfindung hartnäckig ihren Platz in den Herzen vieler Menschen.


    Am 21. Juni 1948 rotierte die Langspielplatte aus Polyvinylchlorid (PVC) zum ersten Mal. Der Ingenieur Peter Goldmark bei dem amerikanischen Medienunternehmen CBS hatte sie entwickelt. Schnell setzte sie sich weltweit gegen ihre Vorgängerin - die Schellackplatte - durch. Die neue Platte war billiger, ihr Klang schöner und mit einer Geschwindigkeit von 33 1/3 Umdrehungen pro Minute bot sie eine deutlich längere Spieldauer: etwa 25 Minuten pro Seite. Die Schellackplatten konnten mit 78 Umdrehungen lediglich ein einziges Musikstück wiedergeben. Die ersten deutschen LPs erschienen 1951 bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft.


    Nicht nur bei Klassikliebhabern ist die Schallplatte nach wie vor beliebt. Vor allem passionierte Discjockeys schwärmen vom den Rillen. So auch René Murawski: «Ich liebe Vinyl. Ich kaufe keine CDs. Klang und Gefühl einer LP sind einfach viel wärmer und satter.» Mit Kopfhörern auf den Ohren lauscht der 27-Jährige andächtig der Musik. So wie Murawski denken viele und sichern der Vinyl-Schallplatte eine Zukunft. Vor allem elektronische Musik, HipHop und Rock, aber auch Funk, Soul und Jazz wird noch immer auch auf Vinyl produziert. Die neuesten Pop-Remixes von Madonna bekommt man inzwischen auch wieder auf Platte.


    Anja Schneider gründete vor drei Jahren die kleine Berliner Plattenfirma Mobilee Records ­ deren Kerngeschäft noch immer die klassische Schallplatte ist. Sie macht 60 Prozent der Produktion aus. «Am Anfang habe ich viele kritische Stimmen gehört, ob sich ein Vinyl-Label überhaupt noch lohnt», sagt Schneider. «Und jetzt sind wir immer noch da.» Schneider legt selbst regelmäßig in Clubs auf. «Wenn sehr gute DJs mit drei Platten gleichzeitig auflegen, sie herumwirbeln und scratchen ist das harte Arbeit - aber auch richtig schön zum Zuschauen», begeistert sich Schneider.


    Auch wenn die Langspielplatte als Tonträger mittlerweile von CD und mp3-Dateien abgelöst wurde, besetzt die Vinylscheibe seit Jahren eine Nische. 2007 profitierte die LP von der allgemeinen Retro-Welle. Deutschlandweit wurden etwa 700 000 Vinyl-Platten verkauft - 100 000 mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zur CD ist das fast nichts. Davon gingen rund 150 Millionen über die Ladentische.


    Viele LP-Liebhaber sind aber passionierte Sammler, die auch großen Wert auf das Cover legen. Manche davon sind kleine Kunstwerke, wie etwa das von Pop-Art-Künstler Andy Warhol gestaltete Cover des Stones-Albums «Sticky Fingers». Mit dem echten Reißverschluss wurde die Hülle vielleicht sogar berühmter als die Platte selbst. Ähnlich legendär ist das Cover der Beatles-Scheibe «Abbey Road». Es entstand angeblich in zehn Minuten und wurde zigfach kopiert.


    Ein Ende der Schallplatte ist nicht in Sicht. Im vergangen Jahr gab es mit der Vinyl Disc sogar eine Neuentwicklung. Sie besteht aus zwei miteinander verbundenen Schichten. Eine Seite der Scheibe ist schwarz, hat die übliche Rille und kann auf jedem normalen Plattenspieler abgespielt werden. Etwa zwei Musiktitel haben auf ihr Platz. Auf der anderen Seite ist die Scheibe silbern und kann digitale Musik, Videos oder Computerspiele speichern. Für echte «Vinylisten» aber ist das nur eine Spielerei.


    Quelle : Yahoo . de

  • Schallplatte ist «kulturelles Gesamtkunstwerk»


    20.06.2008 10:06


    Hamburg/Gettorf - Langspielplatten sind weit mehr als schlichte Tonträger. «Eine Vinylplatte ist ein Gesamtkunstwerk, das im besten Fall die Stimmung einer ganzen Generation widerspiegelt», sagte Kai Seemann in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa - und er muss es wissen.



    Er ist Geschäftsführer der Firma Speakers Corner im schleswig-holsteinischen Gettorf, die sich seit 15 Jahren der «audiophilen Wiederveröffentlichung» von Schallplatten verschrieben hat. «Es ist nicht nur die Musik, die man mitbekommt, wenn man eine Platte abspielt, sondern das ganze Herzblut, das darin steckt», schwärmt er und nennt als Beispiel die Alben von Janis Joplin.


    Zudem müsse man sich mit einer Schallplatte ganz anders auseinandersetzen als mit einer CD oder einer MP3-Datei. «Eine Platte muss man anfassen, sie pflegen und den Plattenspieler richtig justieren», sagt Seemann. Das Gefühlserlebnis gehe aber noch weit darüber hinaus. «Die großen Plattencover haben eine ganz andere Bedeutung, vermitteln ein ganz anderes Gefühl und sind fester Bestandteil des gesamten Albums.» Beste Beispiele seien das Cover des Rolling-Stones-Albums «Sticky Fingers» mit einem echten Reißverschluss oder von Velvet Underground mit der Andy-Warhol- Banane, die auch nach Banane riecht, wenn man dran reibt.


    Bei CD funktionierten die Cover meist nicht, weil sie einfach zu klein und mit zu viel Plastik versehen seien. «Dieses Klack, Klack, Klack, wenn man CDs in einem Laden durchguckt, das macht doch keine Lust, da auch noch ins Booklet zu gucken», meint Seemann, der selbst mehr als 3000 Schallplatten besitzt. Die Anzahl seiner CDs will er nicht als Sammlung bezeichnen. «Das sind nur ein paar, die ich ab und zu im Auto höre.»


    Obwohl sie von der CD aus den meisten Geschäften vertrieben wurde, verdankt die Schallplatte der Silberscheibe nach Ansicht den Vinyl- Experten eine kontinuierliche Verbesserung. «Auch da galt: "Konkurrenz belebt das Geschäft".» Vor etwa 15 Jahren sah es zwar schlecht aus für die Vinylscheibe, doch DJs hätten damals das Geschäft am Laufen gehalten. «Inzwischen ist die Auswahl selbst an neuen Alben ja wieder erstaunlich groß», erklärt Seemann. Das Ende der oftmals totgesagten Schallplatte sei daher lang noch nicht in Sicht. «Es gibt immer noch genug Musikliebhaber, die sich lieber eine Platte ins Regal stellen, als eine Datei in den Ordner zu schieben.»


    Gespräch: Britta Schmeis, dpa

  • Die Welt ist eine Scheibe


    60 Jahre – und kein bisschen leise: Die Schallplatte aus Vinyl ist lebendiger denn je. DJs, Sammler und Soundgenießer lieben sie. Eine Hommage an das schwarze Gold.


    Die Plastikfolie knistert, als sie aufgeritzt wird. Vorsichtig und liebevoll wird an einer Kante ein Schnitt gesetzt, so, als würde man einen Schokoriegel auspacken, den man nicht kaputt machen will. Dann erst kann man das Objekt der Begierde aus seiner dunklen Hülle befreien: die Platte. Platten kaufen heißt sich selbst beschenken: Man geht in den passenden Laden, hört sich stundenlang durch Dutzende von Liedern und freut sich auf dem Weg nach Hause schon darauf, die neue Platte auszupacken und aufzulegen. Unvorstellbar, dass man Musik auch mit einem einzigen Mausklick „kaufen“ und auf seinen MP3-Player laden kann.


    Schallplatten gibt es bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Aufnahmekapazität war zunächst aber sehr begrenzt, es passten nur wenige Minuten Musik auf die Platten. 1948 entwickelte der Elektroingenieur Peter Goldmark eine andere Version der Schallplatte. Neu waren Material und Kapazität. Die Rillen wurden fortan in Polyvinylchlorid gepresst, kurz: Vinyl. Und Goldmark verlangsamte die Abspielgeschwindigkeit. Plötzlich passten ganze Opernakte auf die Platte, die sich mit 33,3 Umdrehungen pro Minute auf dem Teller drehte. Um entspannt Musik zu hören, musste man nicht mehr in die Oper oder den Konzertsaal gehen.


    Doch so richtig fand die Scheibe ihren Durchbruch erst einige Jahre später, als Rock ’n’ Roll erst in die Charts und später dann auf Platte in die Jugendzimmer stürmte. Die erste Jugendkultur verdankte ihren Erfolg auch der neuen Technik Vinyl: Für eine Party brauchte man nun nur noch einen Plattenspieler und die richtige Musik, um die Eltern zu ärgern.


    Slow Food für die Ohren


    Heutzutage wirkt diese Art Musik zu hören veraltet. Und doch schwören gerade Sammler auf die schwarze Scheibe. Denn Vinyl bedeutet Musikgenuss. Legt man Platten auf das heimische Abspielgerät, ist das eine bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung gegen die praktische, aber uncoole CD. Und noch mehr gegen die Dauerberieselung durch MP3s. Eine Platte auflegen ist ein Vier-Gänge-Menü, zubereitet und genossen mit Freunden: Die Platte wird vorsichtig aus der Hülle genommen, mit dem Kohlefaserkamm von Staubkörnern befreit, langsam auf den ruhenden Plattenteller gelegt. Dann wird die Nadel bedächtig auf eine Rille gesetzt, der Deckel behutsam zugeklappt. Die warmen analogen Klänge breiten sich in dem spärlich beleuchteten Raum aus. Die hohe Kunst des Genießens. Der MP3-Player dagegen ist das lauwarme Stück Pizza, im Gehen verschlungen – praktisch, aber auf Dauer ungesund.


    So wie auch Vinyl-Erfinder Goldmark sich die Langsamkeit zunutze machte, haben Musikliebhaber trotz der technischen Neuerungen wie der Audiokassette, der CD oder des MP3-Formats sich das langsame Genießen, also Slow Food für die Ohren, nicht abgewöhnt.


    Dreh in der Nische


    Während die CD die Platte ab 1982 aus dem Wohnzimmer verdrängte, wurde sie vor allem abseits des Mainstreams immer wichtiger. Hip-Hop-, Reggae- und House-DJs legten weiterhin nur mit Vinyl auf, vor allem, weil sie so die Lieder direkt ineinander mischen konnten. Die von Hip-Hop-DJs in den Achtzigern entwickelte Technik des Scratchens, bei der man die Platte hin und her bewegt und der Beat so ein kratzendes Geräusch erzeugt, wurde essenziell für Hip-Hop-Auftritte und konnte mit einer CD nicht nachgemacht werden. 1981 wurden noch 1,14 Milliarden Platten verkauft. Doch die Mehrzahl der Musikliebhaber fing ab Mitte der achtziger Jahre an, seine Plattensammlung zu verkaufen und dafür CDs anzuschaffen.


    Die Verkäufe von Musik auf Vinyl beschränkten sich bald nur noch auf die Subkulturen, in der die Platte immer wichtiger wurde: Als Ende der Achtziger House und Techno von England nach Deutschland schwappten, benutzten die DJs vor allem den Plattenspieler Technics 1210, der bis heute als einer der besten gilt und wegen seiner guten Qualität auch gebraucht fast genauso viel kostet wie neu. Ende der neunziger Jahre fand die Platte ihren Weg zurück ins Rampenlicht: deutscher Hip-Hop und New-Metall-Bands, die neben Gitarristen auch DJs beschäftigten, standen an der Spitze der Charts.


    Den allgemeinen Rückgang an verkauften Tonträgern hielt diese Renaissance aber auch nicht auf: Ähnlich wie die Verkaufszahlen der CDs schon lange kriseln geht die Zahl der verkauften Platten seit Jahren zurück. 2007 wurden weniger als 700000 Platten in Deutschland verkauft. Thomas Ulrich, Geschäftsführer von http://www.hhv.de, einer der größten Platten-Mailorder Deutschlands, sieht den Trend ähnlich: „Auch wenn es immer noch viele Sammler gibt, die Platten kaufen, sind die Verkäufe rückläufig.“ Die Menge an erscheinenden Platten ist trotzdem immer noch hoch. Mehr als 70000 Platten hat der Versand, der 2002 in Berlin gegründet wurde, im Sortiment. Aber vor allem die bisher treuesten Kunden kaufen inzwischen immer weniger Platten: die DJs.


    Digital ist besser?


    Zwar werden immer noch Plattenspieler benutzt, die Nadeln spielen aber immer öfter nur digitale Daten ab. Systeme wie Rane SeratoScrach oder Final Scratch von Stanton machen es möglich, über digitale Signale den Laptop mit den Plattenspielern zu verbinden und so MP3s aufzulegen. Für die DJs heißt das, dass sie einerseits das gleiche Gefühl beim Auflegen haben, andererseits aber keine kiloschweren Kisten mehr schleppen müssen und trotzdem Tausende Lieder dabeihaben können. Über MP3-Internet-Shops wie iTunes oder Beatport lassen sich entspannt die neuesten Hits auf den Laptop laden. Elektro-DJs wie Richie Hawtin haben das digitale DJing inzwischen zu einer eigenen Kunstform erweitert. Aber egal, ob Vinyl oder MP3, eines haben die DJs immer noch gemeinsam: Ohne Platte keine Musik.


    Abgedreht - Kurioses auf Vinyl.


    Bereits kurz nach Erscheinen von Pink Floyd’s „The Dark Side Of The Moon“ 1973 gab es Stimmen, nach denen das Album und der Filmklassiker „Der Zauberer von Oz“ aus dem Jahr 1939 zusammen ein harmonisches Gesamtwerk ergäben. Ein echter Beweis oder die Bestätigung der Band fehlen bislang. Zum Ausprobieren: die Platte beim Brüllen des MGM-Löwen zu Beginn des Films starten und lauschen. Oder bei youtube.com „Dark Side of the Rainbow“ eingeben. Auch Stanley Kubriks Film „Odyssey 2001“ soll perfekt zur Musik passen.


    Auch sogenannte Rückwärtsbotschaften finden sich angeblich immer wieder in der Musik. Diese wären auf Vinyl am einfachsten zu entschlüsseln. Für Neugierige: Queens „Another One Bites The Dust“ soll rückwärts gespielt zum Konsum von Marihuana aufrufen, in „Hotel California“ von den Eagles ist angeblich Satan höchstpersönlich anwesend. Einen Skandal löste ein Radio-DJ aus, als er 1969 behauptete, durch das Rückwärtsspulen des Liedes „Revolution 9“ der Beatles würde man erfahren, dass Bandmitglied Paul McCartney tot sei. Über die Jahre wurde diese Behauptung zu einer der größten Verschwörungstheorien der Popgeschichte.


    von Costa Alexander und Gerd Schild


    Veröffentlicht am 23.06.2008 17:36 Uhr
    Zuletzt aktualisiert am 25.06.2008 14:34 Uhr
    in der
    Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

    Les Trois Tetons in Oberhausen - ich war dabei